Dienstag, 1. Dezember 1981

Roman Polanski


Zu diesem Buch
Es ist die Wirklichkeit, welche die Möglichkeiten weckt, und nichts wäre so verkehrt, wie das zu leugnen. Trotzdem werden es in der Summe oder im Durchschnitt immer die gleichen Möglichkeiten bleiben, die sich wiederholen, so lange bis ein Mensch kommt, dem eine wirkliche Sache nicht mehr bedeutet als eine gedachte. Er ist es, der den neuen Möglichkeiten erst ihren Sinn und ihre Bestimmung gibt, und er erweckt sie.
Robert Musil

Während die meisten der international anerkannten Regisseure vielfach Gegenstand von Werkuntersuchungen und Biografien sind, verzeichnet die internationale Filmliteratur lediglich vier ausführlichere Analysen des Œuvres von Roman Polanski; drei sind jedoch schon in den Jahren 1970 und 1971 in England und Frankreich erschienen, eine weitere 1975 in Italien, seitdem nichts mehr. Über die Gründe, weshalb der mittlerweile auch in der Bundesrepublik rege Filmbuchmarkt Polanski bislang noch nicht entdeckt hat - sieht man einmal von einer kaum ernstzunehmenden und überdies schlecht recherchierten Anhäufung von Skandalgeschichten und Spekulationen über Polanskis Background ab -, kann nur spekuliert werden; an einem zu geringen Bekanntheitsgrad dieses Filmemachers dürfte es kaum liegen. Eher muß der Grund in den einzelnen Filmen gesucht werden, die sich, trotz (oder gerade wegen) ihres in der Regel kommerziellen Erfolges und ihres Unterhaltungswertes einer raschen Analyse weitgehend sperren und sich bei genauerer Betrachtung als »tiefgründiger« erweisen, als ihre leichte Konsumierbarkeit vermuten läßt. Der Zeitpunkt für eine ausführliche Untersuchung der Filme Polanskis scheint günstig, da er mittlerweile, in einem Zeitraum von nahezu zwei Dekaden, zehn Spielfilme realisiert hat; ein zugegebenermaßen bescheidenes Œuvre, was die Quantität angeht, das aber eine beachtliche Konsistenz aufweist, wodurch das Herausarbeiten größerer Zusammenhänge möglich ist; ferner ist mit Polanskis letztem Spielfilm eine deutliche Wende in seinem Schaffen eingetreten, die die vorherigen Filme als eine (vermutlich abgeschlossene) Periode erscheinen läßt. Neben diesen zehn Spielfilmen, deren Analyse jeweils ein Kapitel gewidmet ist, wird selbstverständlich auch auf Polanskis andere Filme und Filmversuche, andere künstlerische Betätigungen und auf seine persönliche Entwicklung eingegangen. Der zweite Teil des Buches (ab Kapitel 19) soll über diese Darstellung hinaus bestimmte übergreifende Aspekte der Filmarbeit Polanskis gesondert betrachten, die die Spezifik seines Werkes ausmachen. Besonders im ersten Teil des Buches ist bei der Analyse der Filme das Schwergewicht auf die manifesten und latenten Filminhalte mit besonderer Betonung der psycho-sozialen Phänomene gelegt. Demgegenüber tritt die Untersuchung der Darstellungsweise zurück; ihr wird im zweiten Teil in mehreren Kapiteln Raum gegeben. Diese Gewichtung ergibt sich weitgehend aus der Vorgehensweise des Regisseurs selbst; ohne vorgreifen zu wollen, sei gesagt, daß die ästhetischen Mittel, so brillant und technisch aufwendig sie auch von Polanski gehandhabt werden, sich doch stets der Story unterordnen, sich die »Sprengkraft« seiner Filme vornehmlich in den erzählten Geschichten offenbart. Polanski versteht sich als Unterhaltungsregisseur, der in seinen Filmen weder einen politisch-gesellschaftlichen Zweck verfolgt, noch sich um die über bloße Unterhaltung hinausgehenden Interessen oder Bedürfnisse der einzelnen Zuschauer kümmert, ein Regisseur, der - nach einem geflügelten Polanski-Wort - »keine Botschaft vermitteln« will, sondern ausschließlich darauf aus ist, Emotionen und Spannung auszulösen. Polanski stellt sich damit naiver als er ist, als vor allem seine Filme sind; die Frage, ob Polanski mit seinem »Nicht-Reflektieren« nur kokettiert oder ob er wirklich seine Filme so instinkthaft dreht, wie er es gerne behauptet, oder die Frage, ob bestimmte Motive, Themen und symbolische Bezüge in die Filme zufällig oder nach genau kalkulierter Absicht hineingekommen sind, ist weder zu beantworten noch von besonderer Bedeutung für das Aufzeigen dieser Motive oder die Untersuchung ihrer Funktion. Fremdsprachige Film- und andere Werktitel werden in diesem Band in ihrer Originalbezeichnung benutzt; bei ihrem ersten Auftauchen folgt jeweils in Klammern der - soweit vorhanden und wenn er von dem Originaltitel abweicht - deutsche Titel (bei Filmen in der Regel der deutsche Verleihtitel), mit der Ausnahme, daß Polanskis in Polen gedrehte Kurzfilme (wegen der dem Leser unterstellten mangelnden Vertrautheit mit der Schreibweise und der Aussprache des Polnischen) mit ihrem deutschen (Verleih- bzw. Übersetzungs-)Titel zitiert werden. Die Angaben der Jahreszahlen bei den Filmen entsprechen dem Jahr, in dem der Film uraufgeführt wurde; in der Fachliteratur werden gelegentlich auch Herstellungsdaten angegeben, daraus erklären sich eventuelle Abweichungen zu anderen Quellen.Die Schreibweisen der Orts- und Personennamen erfolgen in der Regel in der Form der entsprechenden Landessprache; die Umschrift von Namen aus anderen Schriften als der lateinischen folgt den gültigen Transliterationsvorschriften. Auf die polnische richtige Schreibweise Polański (mit Akzent) wurde dagegen verzichtet - außer in der Filmografie bei den polnischen Filmen -, da auch Polanski selbst seinen Namen seit seiner Übersiedlung in den Westen ohne Akzent schreibt.