Montag, 1. August 1983

Joe Hyams: Humphrey Bogart and Lauren Bacall. Vorwort


Paul Werner
Vorwort

Fünf Tage lang, vom 16. bis zum 20. März des Jahres 1948, durchlebt der amerikanische Filmschauspieler Humphrey Bogart – er steckt mitten in den Dreharbeiten zu Key Largo von John Huston – einen komplizierten Kriminalfall, der mit dem Mord an einem Freund beginnt und sich rasch zu einer Bedrohung der gesamten Filmwelt Hollywoods auswächst: Bei der alljährlichen »Oscar«-Verleihung soll das ganze ehrenwerte Auditorium in die Luft fliegen. Wider Willen wird Bogart in den mysteriösen Fall verwickelt, aber er wäre nicht der, für den man ihn hält, wenn er ihn nicht bravourös und in Philip-Marlowe-Manier lösen würde – wozu hatte er schließlich drei Jahre zuvor The Big Sleep oder 1941 The Maltese Falcon gedreht?
Der Mordfall und der sich daraus entwickelnde Thriller fanden jedoch nicht wirklich statt; sie bilden das Handlungsgerüst eines Romans, den mir vor ein, zwei Jahren ein amerikanischer Freund zuschickte und den ich mit großem Vergnügen las. Die beiden Autoren des Buches (John Stanley und Kenn Davis, Bogart '48, New York 1980) beschreiben die fünf Tage im Leben des H. B. minutiös unter sorgfältiger Rekonstruktion von Schauplätzen und Gegebenheiten, vermischen dann aber behutsam Fakten und Fiktion und lassen den Schauspieler wie den Filmhelden agieren. Am Rande tauchen reihenweise damalige Filmgrößen als authentische Figuren auf, oft ironisch überzeichnet. Der sich an Chandler und Hammett anlehnende Roman auch Chandler tritt auf – benutzt einen im Grunde simplen Trick: Er greift den längst institutionalisierten Mythos um Bogart auf und verlängert diesen Film-Mythos in Bogarts Privatleben hinein, bildet die Rolle des Kinodetektivs noch einmal als genuine Eigenschaft des Darstellers ab. Nichts anderes aber macht der Zuschauer der Bogart-Filme, spätestens dann, wenn er zum Bogart-Fan wird.
Was aber macht die Faszination dieses knapp [über] 1,70 Meter großen, schlanken Mannes mit dem tief in das strapazierte Gesicht gezogenen Hut und dem Trenchcoat – den Gürtel stets unordentlich verknotet und den Kragen hochgeschlagen – eigentlich aus? Eine Faszination immerhin, die Menschen in aller Welt und der unterschiedlichsten Altersstufen nicht nur seine Filme immer wieder anschauen läßt, sondern sie auch dazu bringt, sich sein Bild lebensgroß auf ihre Türen zu pinnen und ihn kurz und vertraut »Bogie« zu nennen. Und warum nimmt, mehr als ein Vierteljahrhundert nach seinem Tod, die Begeisterung für ihn und seine Filme eher zu?
In Bogart kommen das Aussehen des Darstellers und der Charakter der Filmrollen zu einer seltenen Kongruenz; und dennoch verbleibt den Zuschauern genug Raum, ihre eigenen Träume und Ängste in die Figur zu projizieren. Dies spürten zuerst die Studenten der amerikanischen Colleges und Universitäten, von denen in den frühen 60er Jahren, nur wenige Jahre nach Bogies Tod, der Bogart-Kult ausging – bereits 1960 begann das Brattle-Kino in Cambridge, regelmäßig zur Examenszeit eine Restrospektive von Bogart-Filmen vorzuführen, die Jahr für Jahr größere Besucherscharen anlockte. Die Studenten sahen in Bogart eine unsentimentale, durch und durch amerikanische Figur, deren pessimistische Lebenseinstellung, deren »intellektuelle« Respektlosigkeit gegenüber Autoritäten, deren aber auch spürbare Verletzlichkeit, die sich hinter der Maske des harten Äußeren nur unvollkommen verbarg, ihr persönliches Wunschbild verkörperte. Die kathartische Lösung ihrer eigenen Ängste fanden die Studenten – und nicht nur diese – dagegen in dem mühsamen, oft vergeblichen Kampf des Bogartschen Helden gegen eine völlig korrupte Umwelt. In einer zunehmend undurchschaubaren Gesellschaft lebend – mit großen sozialen und politischen Krisen –, wurde einer jungen Generation ein mittelalter Mann zum unerreichbaren Vorbild, der in einer nicht minder bedrohlichen Welt mit seinem unbeirrbaren (Berufs-)Ethos sämtliche Gefahren zynisch und »cool« durchstand – wenn es sein mußte, bis in den unausweichlichen, alle Konflikte endgültig bereinigenden Tod. Wie kaum ein anderer Star (der diese Bezeichnung zu Recht trägt, und das sind weniger, als man glaubt) wurde Bogart der Kristallisationskern eines Kinomythos – im Unterschied etwa zu anderen großen Gangsterdarstellern wie James Cagney oder Edward G. Robinson.
Nun gehört zu Kinomythen, oder genauer: zu deren Trägern, daß viel über sie geschrieben wird, vor allem, wenn sie dem per se mythischen Ort Hollywood entstammen, und noch mehr, wenn die Personen bereits tot sind. Tote können ihre Legenden nicht mehr korrigieren, und wenn sie gestorben sind, bevor ihre Karriere stagnierte, fallen ihre Anhänger in eine egoistische Trauer, die den schmerzlichen Verlust ihres Idols beklagt. Schauspieler wie Bogart, James Dean, Schauspielerinnen wie Marilyn Monroe, Regisseure wie Hitchcock und auch Sänger wie Elvis Presley oder Jim Morrison werden dann rasch ideale Objekte mythischer Verehrung. Über jede solcher Personen gibt es zahllose »Biographien«, die – je nach Ansatz ihrer Verfasser – sich zum Ziel setzen, den jeweiligen Mythos entweder zu vertiefen oder zu »entlarven« und die »Wahrheit« zu erzählen, wobei die zweite Möglichkeit selten etwas anderes bedeutet, als den bekannten Mythos durch eine neue Version zu ersetzen. Denn einen Mythos zu entlarven, wirklich zu zerstören, bedeutete nichts anderes, als den Lesern den Stoff, den sie lieben, zu entziehen ...
So verwundert es kaum, daß, seit der 1965 einsetzenden Publikationswelle – in jenem Jahr kamen in den USA vier Bogart-Bände gleichzeitig auf den Markt –, über ihn mehr als ein Dutzend Bücher alleine im englischen Sprachraum veröffentlicht worden sind und über Lauren Bacall, seine Frau und Filmpartnerin, auch einige. Warum nun ein weiteres Buch über zwei Menschen, über die schon alles gesagt zu sein scheint, über die man alles zu wissen glaubt? Der vorliegende Band von Joe Hyams unterscheidet sich im Blickwinkel ein wenig von anderen Bogart-Büchern – sein Ansatz ist einigermaßen originell. Hyams stellt nicht den sattsam bekannten Star ins Zentrum, sondern liefert eine Doppelbiographie von Bogart und Bacall, in der er etwa die Lebensabschnitte vor ihrem Kennenlernen in einer Art Parallelmontage schildert und Bogarts Entwicklung mit der Bacalls kontrastiert. Selten wurden die Unterschiede in Herkunft, Alter, Entwicklung und Anspruch dieser beiden Menschen so plastisch. So hält uns Hyams beispielsweise vor Augen, daß zur selben Zeit, als der aus einer wohlhabenden Arztfamilie stammende Nachwuchsschauspieler Bogart in New York das Aufgebot zu seiner ersten Ehe bestellt, dort das Mädchen einer armen jüdischen Einwandererfamilie geboren wird, das später seine vierte Frau werden sollte.
Joe Hyams ist ein durch und durch amerikanischer Autor; dies bestimmt seine Ausdrucksform ebenso wie seine Herangehensweise an den Gegenstand. Sein Buch gehört zu den Büchern, speziell solchen über Hollywood-Stars, die nur und die so nur ein Amerikaner schreiben kann. Die Gründe dafür sind vielfältig. Zum einen ist es für einen Amerikaner, der in Hollywood lebt und arbeitet wie Hyams, leichter, einen Insider-Zugang zu den Stars zu erlangen, und der Autor des vorliegenden Bandes hatte diesen zweifelsohne, besonders zum Haushalt Bogart-Bacall. Er lernte 1946 als Korrespondent der New York Herald Tribune die Bogarts persönlich kennen und blieb in Kontakt mit ihnen. Er war derjenige, der, auf Wunsch von Bogart und Bacall, die Nachricht von Bogarts Tod an die Presse weitergab, und er verfaßte bereits 1966 eine offiziöse Bogart-Biographie (Joe Hyams, Bogie: The Biography of Humphrey Bogart, New York 1966), die Lauren Bacall durch ein Vorwort quasi autorisierte.
Diese intime Kenntnis der Hollywood-Society – der Hyams mittlerweile selbst zugehört – führt natürlich zu einer gewissen Verstricktheit, Komplizenschaft, ja mangelnden Distanz und formt auch den Charakter der vorliegenden Doppelbiographie, die man von hier aus wohl nicht so schreiben könnte und auch nicht sollte. (Versuche dieser Art scheitern in der Regel daran, daß sich der Verfasser mit Material aus zweiter bis dutzendter Hand begnügen muß, und sind meist nichts als fleißige, aber blutleere journalistische Kompilationsarbeiten.) Zum anderen dürfte man der Zunft der amerikanischen Filmjournalisten und Filmbuchautoren nicht allzusehr unrecht tun, unterstellte man dem überwiegenden Teil von ihnen ein, nennen wir es einmal: lockeres, unverkrampftes Verhältnis zu ihrem Sujet. Filmbücher und -artikel sind dort in aller Regel für ein breites Publikum gedacht, das seine liebgewonnenen Träume erhalten haben will und einfühlsame »Wahrscheinlichkeiten« der trockenen Faktenwirklichkeit allemal vorzieht.
Hyams wählt hingegen einen durchaus gelungenen Kompromiß; er vermittelt eine Unmenge sorgfältig recherchierter Fakten, benutzt dann aber als Transportmittel reizvolle Anekdoten, viele sehr subjektive Wertungen von den Bogarts nahestehenden Personen und einige »Wahrscheinlichkeiten«. Auf die Filme, die Bogie und »Betty« (wie Bogart seine Frau nannte) gemeinsam oder einzeln gedreht haben, geht Hyams kaum ein. Zahlreiche Geschichten kreisen aber um die Dreharbeiten, um Produzentenärger und Premierenfeiern. Im Mittelpunkt der Betrachtungen steht jedoch das Familienleben der Bogarts. Hyams malt das Bild eines Traumpaares, dessen Leinwand-Happy-End im fröhlichen Familienleben die Fortsetzung findet. Dabei wird dieses Familienleben, das sich so sehr an konventionellen Werten orientiert, idealisiert: Bogart, der Patriarch und Familienvorstand, Betty, die sorgende Mutter, die ein wenig zum Familieneinkommen beisteuern darf – gewissermaßen einen Obolus für ein paar schicke Möbel (mehr) und etwas elegante Kleidung (zusätzlich). Dies alles kratzt gehörig am typischen Bogart-Mythos. Aber rasch wird er durch einen anderen, neuen ersetzt: Hyams vollzieht damit einen Perspektivewechsel in der Betrachtung von Stars, der in der Entwicklungsgeschichte des Startums seine historische Entsprechung hat. Bis zu den frühen 30er Jahren – vor allem aber in der Stummfilmzeit – galten Filmstars als Götter und Helden, sie waren die Personalisierungen des Idealen; später, und bis heute immer mehr, wurden sie zu Personalisierungen des Typischen, d. h. in zunehmendem Maße Identifikationsfiguren – Sterbliche wie du und ich. Konkret auf Bogart bezogen, heißt das: Während Bogie üblicherweise – und dies zeigt der eingangs genannte Roman exemplarisch – als Idealheld geschildert wird, stellt Hyams Bogart und Bacall als typische (ich bin versucht zu sagen: Durchschnitts-)Amerikaner hin, mit ihrem Wunsch nach Familie, Eigenheim und einem zuverlässigen Auto: Bogart einmal nicht als strahlender Held, sondern der brave und freundliche Nachbar von nebenan, der einem (beinahe) normalen Job nachgeht. Dieses Bogart-Bild ist gewiß glaubhafter als das hergebrachte und steht diesem als nützliches Korrektiv gegenüber.
Hyams nennt sein Buch vordergründig eine Love Story. Es ist aber vor allem die Geschichte eines Mannes, der nach drei gescheiterten Ehen lernt, was es bedeutet, ein Zuhause, einen Ruhepunkt zu haben; und es ist die Geschichte einer jungen Frau – auf der Filmleinwand bedeutend emanzipierter als daheim –, die diesem Manne zuliebe ihre eigenen Karriereansprüche allzu bereitwillig hintanstellt und unter Verzicht auf die Erfüllung ihres eigenen künstlerischen Anspruchs dem ihres Mannes den Weg ebnet. So ergibt die Verbindung der beiden Schauspielerstars Bogart und Bacall nicht die bloße Vebindung zweier Kinomythen, sondern resultiert in einen Mythos sui generis: den der glücklichen Zweierbezeihung zweier ganz »besonderer« Menschen – die sogar selbst an diesen Mythos glaubten und deren ganzes Streben galt, ihn auch zu leben.
Es empfiehlt sich, das Buch nicht ohne das Bewußtsein zu lesen, daß es sich bei ihm – obwohl Mitte der 70er Jahre entstanden – um ein Dokument eines heute in dieser Form nicht mehr existierenden Bogart-Kults handelt, der in dieser Ungebrochenheit und Naivität eher in die 60er Jahre paßt. Die Rezeption Bogarts und seiner Filme ist spätestens seit den ausgehenden Siebzigern eine andere. Bogart-Fans, deren Zahl nicht abzunehmen scheint, huldigen nicht mehr simpel dem verstorbenen Superstar, sondern rezipieren auf einer Metaebene die Kultfigur der 60er Jahre, genießen aus beobachtender Distanz und mit kennerischem Blick für die Mechanismen von Startum und Personenkult den charismatischen Darsteller, der als Detektiv öder Gangster, als Bootskapitän oder Barbesitzer doch immer »nur« Humphrey Bogart ist, der seine Rollen spielt und gleichzeitig seinem Mythos Nahrung liefert.
Dokument – und Produkt zugleich – ist das Buch aber auch des Star- und Publicitysystems der 30er und 40er Jahre, das den großen Studios ermöglichte, ihre festangestellten Stars aufzubauen und deren Mythen und selbst deren Persönlichkeit marktgerecht zu formen. Diesen enormen Mechanismus schildert Hyams' Buch gerade deshalb so anschaulich, weil es sich nicht darüber stellt; seine geringe Distanz zu dem, was es beschreibt, läßt es zum Teil dessen werden, von dem es handelt: einem Hollywood in seiner Glanzzeit, das so heute nicht mehr existiert.
Wie jede Übersetzung ist auch die hier vorliegende eine Adaptation. Das bedeutet in diesem Fall vor allem, daß mit Absicht geringfügige Kürzungen des Textes vorgenommen wurden, insbesondere wurde auf manche der Personennamen, die Hyams mit großer Akribie zitiert, verzichtet. Dieses »name dropping« würde den Text für den deutschsprachigen Leser eher belasten, als ihm interessante oder brauchbare Information zu liefern. Es erscheint uns nicht sehr sinnvoll, anzugeben, wie 1943 der Oberkellner in »Romanoffs Restaurant« hieß (er möge es mir verzeihen) oder wie der Name jeder erwähnten Schulfreundin Bettys lautete, selbst wenn sie heute die Ehefrau eines vielleicht in den USA bekannten Herausgebers eines Wochenmagazins sein sollte.