Sonntag, 4. September 1994

Alain Delon


EINSAMER WOLF
Nach der Gérard-Depardieu-Reihe zeigt das ZDF ab Samstag sechs Filme eines anderen französischen Superstars - Alain Delon. Den Auftakt macht »Flic Story«

Niemand tötete so elegant, und beim Sterben war er immer der Schönste. Geheimnisvoll der Blick seiner blauen Augen, aber auch kalt. Und oft wirkte sein gutgeschnittenes Gesicht eher wie eine Fassade denn als Spiegel seiner Seele. Er selbst fand Anspielungen auf sein Aussehen manchmal »nur zum Kotzen«.
Vielleicht hätte Alain Delon das Zeug zu einem Schauspieler gehabt, so aber wurde er ein Star. Die Wandlungsfähigkeit, die sich in frühen Rollen bei Luchino Visconti und Michelangelo Antonioni und später bei Joseph Losey noch erkennen ließ, verschwand bald hinter einer rigorosen Selbstinszenierung und Selbststilisierung. Zu sehr gefiel sich Delon als Narziß mit Killergehabe, als melancholischer Einzelgänger, als einsamer Wolf. Er schuf aus sich einen Kinomythos - und baute sich zugleich ein Gefängnis: Die gelegentlichen Ausbruchsversuche aus dem Gangster-Klischee wurden kaum honoriert.
Längst haben Delon, 58, dem das ZDF nun eine sechsteilige Reihe widmet, variationsreiche Vollblutschauspieler wie Gérard Depardieu den Rang abgelaufen. Als Duftwasserproduzent, Rennstallbesitzer und Kunstsammler ist Delon heute gefragter als an der Kinokasse.
»Sei schön und halt den Mund« hieß 1958 sein zweiter Film, bei dem auch Erzrivale Jean-Paul Belmondo bereits zu entdecken war. Den Filmtitel schien sich der junge Delon, der zuvor aus der stiefväterlichen Metzgerei zur Marine und in den Indochina-Krieg geflüchtet war, fortan zu eigen zu machen. Nahezu stumm war er vor allem in dem Film, mit dem er 1967 zu Recht berühmt wurde, »Der eiskalte Engel«. Regisseur Jean-Pierre Melville, der Chefstylist des französischen Kriminalfilms, trieb die Ikonographie seines Idealdarstellers zur Vollendung: minimale Mimik, rituell-sparsame Gesten, ein Blick von unergründlicher Traurigkeit. Einsam wie ein Tiger durchstreift Delon als verratener Berufskiller das nächtliche Paris.
In derartigen Standardrollen präsentiert die ZDF-Reihe nun an fünf aufeinanderfolgenden späten Samstagabenden und dazu noch einmal im »Montagskino« den französischen Kult-Mimen vornehmlich: entweder auf der Flucht (vor Gangstern, vor Polizisten) oder auf der Jagd (nach Verbrechern). Ob als Ganove oder Polizist - die geradezu existentialistische Verzweiflung des Einzelgängers ist jedesmal die gleiche, die Vergeblichkeit allen Tuns wird in jeder Bewegung bewußt.
Wieder war es Melville, der Delon 1972 in »Der Chef« (zu sehen am 22.1.) zum ersten Mal einen Bullen spielen ließ, zerrissen zwischen Pflichtgefühl und seiner Freundschaft zu einem Ganoven (Richard Crenna), auf den sich alle Spuren konzentrieren.
Gerade dieses Motiv der Freundschaft machte die Rolle für Delon attraktiv: »Mehr als an die Liebe glaube ich an die Freundschaft«, erklärte er einmal. Und: »In der Freundschaft gibt es keine Enttäuschungen, da gibt es nur den Verrat.«
Drei Jahre später wagte Delon einen weiteren Ausflug ins Bullenfach: »Flic Story«, mit dem das ZDF seine Reihe am Samstag um 1.00 Uhr beginnt. Die stimmungsvolle, im Paris der späten Vierziger angesiedelte Suche nach einem Psycho-Killer fiel dennoch vergleichsweise konventionell aus.
Vom selben Regisseur - Jacques Deray, mit dem Delon häufig arbeitete - stammt auch »Killer stellen sich nicht vor« aus dem Jahre 1980 (24.1.). Delon gerät hier als Berufsspieler auf die Abschußliste einer Verbrecherbande, ein Schicksal, das ihn bereits 1963 in dem Film »Wie Raubkatzen« (15.1.) ereilte, nachdem er die Frau eines Gangsterbosses verführt hatte. Seine Flucht nach Monte Carlo bringt ihn vom Regen in die Traufe.
Nach dem schwachen »Wie ein Bumerang« (29.1.) - ein Unternehmer (Delon) wird von seiner kriminellen Vergangenheit eingeholt - bringt zum Abschluß der Reihe ein Klassiker am 5. Februar beinahe sämtliche Motive noch einmal unter einen Hut: den großen Coup, den Ehrenkodex der Mafia, den Delon durch eine leichtsinnige Liebschaft verletzt, die Freundschaft der Gangster, den Verrat. Vor allem aber führte »Der Clan der Sizilianer«, 1969 von Henri Verneuil inszeniert, gleich drei Ikonen des französischen Gangsterfilms zusammen: neben Delon noch Lino Ventura und einen hinreißend kauzigen Jean Gabin.
PAUL WERNER

Stern 23, 1994