Donnerstag, 2. Januar 1986
Rebellin in Hollywood. 13 Porträts des Eigensinns (Mit Uta van Steen)
Vorbemerkung
Wie in keinem anderen Bereich kultureller Produktion sehen sich Frauen im kommerziellen Erzählkino großen Widerständen ausgesetzt. Dies gilt in besonders hohem Maße für dessen fortgeschrittenste (aber nicht fortschrittlichste) Erscheinungsform, den Hollywood-Film. Gerade in der amerikanischen Filmindustrie sind individualistisch-künstlerische Bedürfnisse mehr noch als sonst dem Verwertungsinteresse nachgeordnet. Filmemachen ist ein Geschäft wie (beinahe) jedes andere, und hier herrschen die Gesetze des Marktes.
Hinzu kommt für Frauen als zweite Schwierigkeit, daß der Hollywood-Film ein durch und durch männliches Kino ist. Mehr als jede andere vergleichbare Industrie sperrt sich der Film in den USA gegen den weiblichen Zugriff. Frauen sind einzig in bestimmten „Nischen" zugelassen, hauptsächlich als Darstellerinnen und Stars. Aber selbst dann noch sind den Freiräumen enge Grenzen gesetzt; das Patriarchat formt auch die Filminhalte, die Frauenrollen auf der Leinwand nach seinem (Zerr-)Bild. In der Darstellung der Frau regiert das Klischee. Zu anderen Sparten der Filmproduktion – Regie, Drehbuch, Produktion, Kamera – sind Frauen fast gar nicht zugelassen. Die wenigen Regisseurinnen, Drehbuchautorinnen oder Produzentinnen, die sich in Hollywood für länger behaupten konnten oder können, bezahlten dies häufig mit hoher Anpassungsbereitschaft und nicht selten mit völliger Verleugnung eigener Bedürfnisse.
Immer gab und gibt es auch heute eine Reihe von Frauen in Hollywood, die sich dem Anpassungsdruck verweigert haben, die eigensinnig den steinigen Weg der Selbstbestimmung nicht verlassen wollten, Dies sind die Frauen, die die Regeln des Patriarchats verletzt haben und die Gesetze des Marktes mißachtet: die „anderen" Frauen Hollywoods – und von ihnen handelt dieses Buch.
Die Porträts hierin, die Texte und Bilder, versammeln 13 Frauen aus der amerikanischen Filmgeschichte, acht Filmstars, drei Regisseurinnen und zwei Drehbuchautorinnen, die auf den ersten Blick nichts mit einander gemein zu haben scheinen. Mae West und Jane Fonda? Alla Nazimova und Shirley MacLaine? Claudia Weill und Lillian Hellman? Doch so unterschiedlich die einzelnen Frauen auch von Herkunft und Bewußtheitsstand sein mögen, so wenig sich ihre Lebenswege und -ziele auch gleichen mögen, sie verbindet, daß sie versuchten, sich im Hollywood-Film zu behaupten, ohne ihre Persönlichkeit zu verleugnen. Die nachgezeichneten Lebensläufe der Frauen aus allen Epochen des Dreivierteljahrhunderts Hollywood-Geschichte, die sich angepaßt zeigten oder radikal, erfolgreich waren oder tragisch endeten, ermöglichen in ihrer Gesamtheit eine Entdeckungsreise in eine weniger bekannte Seite der Filmgeschichte. Dabei geht es auch darum, ein wenig zurechtzurücken, daß der Anteil der Frauen an der Geschichte des Films, ihre Bedeutung für das Hollywood-Kino und darüber hinaus bis heute unterschätzt wird.
Vollständigkeit ist weder angestrebt noch letztlich erreichbar. Auch ließe sich über die Auswahl streiten. Im Zweifelsfalle gaben die persönlichen Vorlieben oder Abneigungen der Autoren den Ausschlag. Es kam uns darauf an, die Vielfalt des Protestes und dessen historische Entwicklung aufzuzeigen, und mehr als die Variation interessierte uns die jeweils authentischste Vertreterin einer bestimmten Haltung. Kein Lebensweg gleicht dem anderen, keine zwei Charaktere einander.
Für die Unterstützung bei der Klärung von Einzelfragen und die Bereitstellung von Fotos möchten die Autoren danken: Academy of Motion Picture Arts and Sciences (Beverly Hills), University of California Los Angeles, Beverly C. Thomas, Harry S. Gill und ganz besonders Claudia Weill.
aus: Paul Werner und Uta van Steen. Rebellin in Hollywood. 13 Porträts des Eigensinns. 4. Aufl. Frankfurt 1990: Zweitausendeins.
Mittwoch, 1. Januar 1986
Rebellin in Hollywood
Trouble in Paradise
oder
Hollywoods andere Frauen
Wie für einen Mann führt auch für eine Frau der einzige Weg zu sich selbst über schöpferische Arbeit. Es gibt keinen anderen Weg.
Betty Friedan
Genauso für eine Frau wie für einen Mann ist diese Arbeit (im Film) möglich, faszinierend und lohnend.. ., der Weg zu Ruhm und Glück.
Alice Guy
Hollywood, California. Ein enger Ort mit 200 000 Einwohnern, begrenzt von den Bergen im Norden und dem Beverly Boulevard im Süden. Seit 1910 Stadtteil von Los Angeles City. Eine runtergekommene Gegend, die vom Glanz vergangener Tage träumt. Die Straßen, zumindest die abseits der Boulevards und Avenues, sind angeschmuddelt. Gegen den Eindruck von Verfall vermögen auch die gelegentlichen Anstrengungen, das ramponierte Image der Stadt wieder aufzufrischen, kaum etwas auszurichten. Weder der Walk of Fame mit seinen Messingsternen und den Starnamen in den Gehwegplatten, der seit den Fünfzigern allmonatlich um ein paar Sternchen erweitert wird, noch das eigentliche Wahrzeichen der Stadt, das weltbekannte, 15 Meter hohe und zehnmal so lange H-O-L-L-Y-W-O-O-D auf dem Mount Lee. Erst im Sommer 1978 wurde die 1923 von Grundstücksmaklern errichtete, im Lauf der Zeit völlig verrottete Reklametafel, deren ursprünglicher Schriftzug „Hollywoodland“ lautete, mit großem Aufwand renoviert. Aber den Hauch von Wehmut und Nostalgie, der auf dem Ort lastet, können all diese kosmetischen Operationen nicht verscheuchen.
Sicher, es macht immer noch Spaß, den Sunset entlang zu fahren oder über den Hollywood Boulevard zu spazieren. Hier befinden sich die Arsenale, in denen ein anderes Hollywood begraben liegt: die Filmbuchläden und -antiquariate, die ihre großen Schätze an Büchern, Pressemappen, Scripts, Stills und Poster aus allen Epochen der Filmgeschichte feilbieten und zur Spurensuche einladen. Hier findet man auch die T-Shirt-Händler, die den Mythos auf ihre Weise kannibalisieren, indem sie die Signets der einst glorreichen Studios auf billige Hemden – Made in Taiwan – aufbügeln und für ein paar Dollars verkaufen. Einen Block weiter stößt man unweigerlich auf Mann’s Chinese Theater, das berühmte Kino im Pagodenstil, vor dem sich, als es noch Grauman’s Chinese hieß, die Kinostars mit ihren Fuß- und Handabdrücken im noch feuchten Zement verewigen konnten.
Mehr und mehr jedoch bestimmen die Spielhallen, die Pornoschuppen und die Burger Kings das Bild, die Junkies und die Obdachlosen der „skid row“, der Straße der ewigen Verlierer. Das alles beunruhigt, ist aber – bei Tage – ohne Gefahr; nur nachts sollte man sich nicht unbedingt dort sehen lassen. Hollywood, ein Dorado für Touristen und für naive Glücksjäger, wo die einen wie die anderen voller Erwartungen ankommen und von wo sie um ein paar Illusionen ärmer wieder verschwinden. Wie gut, daß es das andere Hollywood gibt.
Hollywood, Movieland. Ein mythischer Ort ohne feste Grenzen, mit einem dreiviertel Jahrhundert kinematographischer Tradition. Wenn auch die Wechselfälle seiner Geschichte, die zahlreichen Ups and Downs, eher einem Jo-Jo anstünden, wenn sein Zenit auch längst überschritten ist – Hollywood hat überlebt, existiert weiter. Hollywood als Metapher. Hier wurden und werden immer noch die weltweit gültigen ästhetischen und produktionstechnischen Standards des Erzählkinos festgelegt. Und selbst wenn in New York ein zweites Produktionszentrum heranwächst und die USA froh sein müssen, hinter Indien und Japan den dritten Platz in der Jahresproduktion an Spielfilmen halten zu können: in den Köpfen der Zuschauer und Macher ist Hollywood noch immer der Nabel der Filmwelt. Es beeinflußt die Sehgewohnheiten auch außerhalb Amerikas und selbst außerhalb westlicher Zivilisation. Man kann es lieben und bewundern, ablehnen oder hassen, nur ignorieren kann man es nicht. An diesem Kino kommt man nicht vorbei. Selbst diejenigen, die sich aufmachen, die herrschenden Sehgewohnheiten zu durchbrechen, reflektieren noch seinen Einfluß.
Hollywood ist die Drehscheibe der Stars und Regiegrößen, die hier heimisch sind, ohne hier zu wohnen. Seit Ende der zwanziger Jahre sind sie weggezogen, zuerst ins nahe Beverly Hills und Bei Air, dann weiter westlich nach Brentwood oder draußen nach Malibu; oder sie leben nun auf einer Ranch in Nevada oder in einem Luxusapartment am Central Park West auf der Insel Manhattan. Auch die Studiokomplexe, bis auf die von Paramount und ein paar kleinere, haben längst keinen Raum mehr in Hollywood, auch sie sind ausgewichen in umgebende Stadtteile und Vororte wie Burbank oder Culver City.
Ein kulturelles oder geistiges Zentrum läßt sich hier nicht ausmachen. Es ist das Mekka der Gesundheitsanbeter und Jugendlichkeitsfanatiker, der Schau-Platz der ewig Sonnengebräunten und Jogginggestählten. Der einzige Vorteil dieses Staates Kalifornien scheint tatsächlich – so packt es der „Stadtneurotiker“ von New York, Woody Allen, in eine spöttische Formel – darin zu liegen, daß man an der Verkehrsampel bei Rot rechts abbiegen darf. Hollywood ist intellektuelle Provinz, und wer mehr sucht als oberflächliche Parties und Barbecues, wer Gespräche jenseits von Mode, Gesundheit und Geldverdienen – und jenseits von Film – führen will, der dürfte sich an der Ostküste wohler fühlen. Kein Wunder also, daß die, die mit Hollywood und dem ganzen Sonnenstaat Kalifornien über Kreuz liegen, daß nahezu alle der in diesem Buch versammelten Frauen lieber in New York gelebt haben oder leben und immer wieder dorthin geflüchtet sind.
Warum gerade Hollywood? Warum wurde hier die Illusionsmaschine aufgeschlagen, wo doch die Wiege des amerikanischen Films an der Ostküste stand? Dies hatte, wie im übrigen nahezu alles in der Geschichte des US-Kinos, handfeste ökonomische Gründe – gepaart mit einer Portion Zufall. Die ersten der noch primitiven Filmstreifen wurden – bis in die zehner Jahre unseres Jahrhunderts hinein – überwiegend in New York und Umgebung heruntergekurbelt, dort, wo das Finanzzentrum der USA steht. Aber 1905 schon hatte sich das Jahrmarktsvergnügen zu einem einträglichen Geschäft entwickelt, und der einsetzende Konkurrenzkampf war heftiger geworden. Die Erfinder, Pioniere und Gerätehersteller schlössen sich daraufhin 1909 zur Motion Picture Patents Company (MPPC) zusammen. Der Trust reklamierte für sich sämtliche Patente und weigerte sich, an „Unabhängige“ Lizenzen zu erteilen. Seine Widersacher verfolgte er mit allen Mitteln: per gerichtliche Verbote, Klageandrohungen und Beschlagnahmungen und auch, wenn dies alles nicht fruchtete, mit angeheuerten Revolvermännern. Die schössen dann Löcher in die Kameras der illegal arbeitenden Filmcrews und trafen dabei auch schon mal einen Kameramann oder Darsteller.
Für die Independents empfahl es sich, aus der Gegend um New York zu verschwinden und nach Florida, Kuba oder Kalifornien auszuweichen. Besonders Südkalifornien bot Vorteile: Dort schien fast das ganze Jahr über die Sonne (auf die man beim Drehen angewiesen war), dort gab es abwechslungsreiche Landschaften. Grund und Boden waren nicht teuer, es war weit genug von New York und den MPPC-Monopolisten und nah genug an der Grenze nach Mexiko, wohin man sich schnell absetzen konnte, falls die Lage einmal allzu brenzlig wurde.
So stießen die Filmleute auch auf ein Nest namens Hollywood, wo günstig Land angeboten wurde. Es war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von dem Grundstücksspekulanten Harvey Henderson Wilcox gegründet worden. Seine Frau hatte auf einer Bahnreise den Namen „Hollywood“, was Stechpalmenwald bedeutet, aufgeschnappt, den sie als hübsch und wohlklingend empfand. Jedenfalls mehr als „Cahuenga Valley“, in dem das Ranchhaus der Wilcox stand. Sie taufte ihr Heim auf den neuen Namen, und ihr Mann benutzte ihn für sein riesiges Neusiedlungsgelände in der Nähe. Die Siedler ließen sich dort wie gewünscht nieder, und 1903 war Hollywood eine prosperierende Kleinstadt. Bereits vier Jahre später verschlug es die erste Filmcrew hierher, und im Jahre 1911 gründete die Nestor Company am Sunset Boulevard das erste Filmstudio. Im selben Jahr noch entstanden in dem 5000-Seelen-Ort 15 weitere Studios. Aus Hollywood, California, wurde Hollywood, die aufstrebende Filmkolonie.
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Der Aufstieg Hollywoods zur Filmmetropole war jedoch nicht die einzige Auswirkung des „Patentkrieges“. Ein anderes, das Gesicht (nicht nur) der amerikanischen Filmindustrie prägendes Phänomen entsprang ebenfalls dem Konkurrenzkampf zwischen Monopolisten und Unabhängigen: der Star. Bis 1910 hatten die Studios des Trusts stets zu verhindern gewußt, daß die Darsteller und Darstellerinnen der Filmstreifen eine ähnliche Popularität erlangen könnten wie etwa die Theatergrößen am Broadway. Einzig der Name der Produktionsfirma sollte das Qualitäts- und Markenzeichen sein, das Zuschauer in die Kinos lockte. Man hielt die Filmakteure in der Anonymität. Alle neugierigen Anfragen von Kinogängern nach Informationen über die Darsteller wurden von den Studios negativ beschieden. Doch die Zuschauer spielten bei dieser Marktpolitik nicht mit. Sie kürten sich ihre Leinwandlieblinge selbst und gaben ihnen eigene Namen: Sie sprachen vom Biograph- oder Vitagraph-Girl, vom Fat Guy oder von Little Mary, dem „Verführer“ oder dem „Mann mit den traurigen Augen“.
Ein 1884 nach Amerika ausgewanderter jüdischer Schwabe spürte, daß die MPPC-Leute die offensichtlichen Bedürfnisse des Publikums ignorierten. Ohnehin war Carl Laemmle, so sein Name, einer der entschiedensten Gegner des Trusts. Bereits 1909 hatte er als Gegengewicht zur MPPC seine Independent Motion Pictures, kurz Imp genannt, ins Leben gerufen, und er gab dem Publikum, was es verlangte: längere Filme mit einer richtigen Handlung und, vor allem, Stars. Er warb der American Biograph das allseits beliebte „Biograph-Girl“ ab, inszenierte einen Riesenwirbel in der Presse und enthüllte den wahren Namen der Darstellerin – Florence Lawrence. Sogar leibhaftig vor Publikum ließ er Miss Lawrence auftreten und fütterte die Fans mit Einzelheiten aus ihrem Leben. Der erste Stern der Filmgeschichte war geboren. Gegen diese neuartige Attraktion waren die halsstarrigen MPPC-Studios chancenlos; es dauerte nur wenige Jahre, und der Trust brach zusammen, und die Unabhängigen hatten in Hollywood das alleinige Sagen. Nach und nach ließen sich alle Firmen in Kalifornien nieder – oder machten pleite. Einzig die Verwaltungsabteilungen einzelner Produktionsgesellschaften verblieben in New York, in der Nähe der großen Banken und der Börse.
Bald wurden das Privatleben, die öffentlichen Auftritte, das gesamte Erscheinungsbild der Stars, selbst ihre Skandale, mit der gleichen Sorgfalt konzipiert wie ihre Filmrollen. Als nächsten Schritt kreierte William Fox 1915 mit Theda Bara, bürgerlich Theodosia Goodman aus
Cincinnati, den ersten „synthetischen“ Star. Sie erhielt eine völlig aus der Luft gegriffene Lebensgeschichte und ein Image aus der Retorte: Sie wurde der erste „Vamp“. Gegen Ende des Ersten Weltkrieges war die Publicitymaschinerie dann perfekt. Man hatte ein Star-System. Es entstanden Fanmagazine und Klatschkolumnen in den Zeitungen, auf den Filmplakaten wurde der Name der Stars größer gedruckt als der Filmtitel, und die Studios verschickten Postkarten mit den Fotos ihrer Kassenmagneten. Vor allem aber wurden die Rollen von Film zu Film wiederholt. Sie kristallisierten sich zum Stereotyp.
Nicht bloß waren die allerersten Stars ausschließlich Frauen, es gab im frühen Film auch nur wenige Männer – die große Ausnahme ist Valentino –, die vollkommen zum Star Stilisiert wurden. Stars waren in erster Linie weiblich – im Französischen heißt es entsprechend la star. Je mehr der Hollywood-Film sich zur profitablen Industrie auswuchs, desto ausgefeilter wurde das Star- und Studiosystem, desto rigider auch wurde das Typecasting angewandt. Darsteller wurden einzig nach ihrem Aussehen für eine bestimmte Rolle ausgesucht, auf die sie dann, wenn sie damit Erfolg hatten, fortan abonniert waren. So wird man zum Spezialisten und – zum Star. Zwar empfanden die Stars das Typecasting zunächst als Segen – nur so konnten die Darstellerinnen zu wahren Leinwandgöttinnen werden –, bald aber auch als Fluch. Das Studio bestimmte nicht nur die Rollen, sondern auch, wie sich die Frauen zu verhalten hatten – im Film, in der Öffentlichkeit und zu Hause –, ohne Rücksicht auf deren eigene Bedürfnisse.
Immer neue Stereotypen entstanden im Lauf der Filmgeschichte und immer neue Stars. Die Rollentypen reflektierten direkt oder indirekt – meist wie in einem Zerrspiegel – gesellschaftliche Entwicklungen. Der viktorianischen Unschuld folgte der Vamp, der Dame von Welt der Flapper, es gab gute Kameradinnen und Femmes fatales, das Pin-up-girl, das bad good Girl, die Sexbombe, die Lolitas und die Selbstbewußten. Die männlichen Stereotypen waren seltener und weitaus weniger ausgeprägt. Die diversen filmhistorischen Versuche, alle Stars, Männer wie Frauen, fein säuberlich in eine Abfolge von Rollenstereotypen zu systematisieren (wie dies etwa Enno Patalas in seiner Sozialgeschichte der Stars ausprobiert hat) überzeugen nicht. Die Unterschiede im Grad der Typisierung von Männern und Frauen werden auf diese Weise völlig verkannt, und die verschiedene Behandlung von weiblichen und männlichen Stars seitens der Studios bleibt zugedeckt. Es ist geradezu grotesk, daß selbst bei den weiblichen Stars die in derartigen Büchern vorgestellte Systematisierung noch rigider erscheint als das tatsächliche Typecasting durch die Studios.
So gut wie nie waren männliche Rollen, wie die weiblichen, durch und durch typisiert. Im amerikanischen Film erscheinen Männer gleichzeitig immer auch als Charaktere. Nicht zuletzt haben Männer stets Berufe; wenn oft auch nur im weitesten Sinne wie Westerner, Rumtreiber, Spieler, Abenteurer, Verführer, Pirat oder Gangster – doch bloßes „Mannsein“ genügte nicht. Die Darstellerinnen aber hatten sich lange Zeit damit zufriedenzugeben, Frau und nichts als Frau zu sein. Für die britische Filmtheoretikerin Claire Johnston läuft das Starsystem in seiner Gesamtheit auf eine Fetischisierung der Frau hinaus, also auf eine, laut Freud, Projektion männlicher narzißtischer Phantasie. Frauen werden im Film als das ausgegeben, was sie für den Mann (auf der Leinwand wie im Kinosessel) bedeuten. Im Zerrbild Hollywoods erscheinen Frauen ahistorisch, ohne individuelle Charaktereigenschaften – halt „ewigweiblich“.
Erst das Ende des Starsystems, das in den späten vierziger Jahren bereits eingeläutet wurde, – und damit auch das Ende der Studiotyrannei – brachte Bewegung in diese starren Klischees. Die Stars waren nun von den meist sieben Jahre laufenden Studiokontrakten erlöst und erhielten die Freiheit, über ihre Filmauftritte selbst zu entscheiden. Wie den Schauspielerkollegen im europäischen Kino war es endlich auch den amerikanischen Darstellern vergönnt, nacheinander in völlig verschiedenen Rollen aufzutreten. Diese künstlerische Liberalität währte – für die weiblichen Stars – nicht allzu lange. Es häuften sich bald langweilige Ausstattungsschinken, und immer öfter kreisten die Filmstoffe in den sechziger und frühen siebziger Jahren um männliche Zentralfiguren. Die wenigen weiblichen Rollen, die es gab, lieferten Frauenklischees, die die alten Stereotypen aus Hollywoods Glanzzeit noch in den Schatten stellten; anspruchsvolle Frauenrollen wurden beinahe zur Rarität. Etwa Mitte der Siebziger hatten Stars wie Shirley MacLaine, Barbra Streisand, Jane Fonda oder Faye Dunaway allen Grund, sich über das „Macho-Kino“, die Gewalt- und Katastrophenstreifen, zu beklagen. Frauen schienen als differenzierte Charaktere im Film nicht mehr gefragt.
Erst 1977, zwei Jahre nach dem offiziösen „Jahr der Frau“ und ein Jahrzehnt nach dem Aufbruch des New Hollywood mit The Graduate und Bonnie And Clyde, schlug auch die Stunde des neuen Frauenfilms. Nachdem die Außenseiter und Rebellen sich Hollywood erobert hatten, merkten die Studios mit einem Mal, daß auch Frauenthemen Kasse zu machen versprachen. Zwar waren die Regisseure von diesen Filmen Wie looking for mr. goodbar, julia und the turning point allesamt kommerziell erprobte und handwerklich verläßliche Kinoveteranen, aber die Frauenrollen darin lagen weit über dem Niveau, das man den weiblichen Stars lange zugemutet hatte. Besonders julia und the turning point waren Filme über jeweils gleich zwei weibliche Hauptfiguren, über Frauenfreundschaften gar, und Männer spielten nur noch am Rande mit. Wer aber gehofft hatte, nun sei die Ära der männlichen Superhelden am Ende, sah sich getäuscht. Zwar gab es auch in den folgenden Jahren – bis heute – immer wieder Filme, in denen interessante Frauenporträts geboten wurden; Filme über Frauen, die Berufe hatten und einen Bewußtseinshorizont über das Hausfrauendasein hinaus. Aber auch hier rückte die Mann-Frau-Beziehung wieder in den Mittelpunkt. Und die überwältigende Mehrheit des Hollywood-Kinos ist auch heute, nach wie vor, rein männlich: Männer besetzen die Hauptrollen, aus männlichem Blickwinkel werden die weiblichen Charaktere geschildert und männlich sind auch (so gut wie) alle Regisseure.
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Nach außen hin, im Verhältnis des Stars zu seinem Publikum, zielt das Starsystem darauf ab, die besondere Bedeutung des einzelnen Stars und dessen Unterschiede allen anderen gegenüber gebührend herauszustreichen. Ganze Unterabteilungen der Major Studios sind einzig damit beschäftigt, dies mit enormem Aufwand durchzudrücken. Der Star wird somit zum Kunstprodukt der Illusionsfabrik – ist zugleich aber auch ein Gesamtkunstwerk, in dem physische Erscheinung, öffentlich gemachtes „Privat“-Leben und Rollenstereotyp aufgehoben und zu einem Image kondensiert sind. Dieses Abbild führt unabhängig von seinem Träger ein Eigenleben und existiert auch außerhalb des Kinos und zwischen den einzelnen Filmen weiter.
Im Binnenverhältnis zwischen Star und Studio erwies sich dieser sorgfältig inszenierte schöne Schein in Wahrheit als ein rigider Disziplinierungsprozeß. Die Persönlichkeit des Filmdarstellers, der sich auf die Star-Mühle einließ, wurde dem Verwertungsinteresse des Studios völlig unterworfen. Für die Firmenbosse waren Stars, beinahe ebenso wie eine Kamera oder ein Schneidetisch, ein Besitz – „der einzige Besitz, der über Nacht das Studio verläßt“, wie es Louis B. Mayer einmal formulierte, der konsequenterweise seine Stars in ihrer Freizeit bespitzeln ließ. Man hatte in den Aufbau der Stars Kapital investiert, das sich nun amortisieren mußte. Mit Langzeitkontrakten an das Studio gefesselt, hatten sie jede vorgesehene Rolle zu übernehmen, Vertragsklauseln verpflichteten sie zu angepaßtem, „sittsamem“ Verhalten, und es gab fein abgestufte Disziplinstrafen bis hin zur Suspendierung mit Gagenstopp. Namensänderungen, Schönheitsoperationen oder ein Wechsel in der Haarfarbe waren gängige Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte, die vor allem weibliche Stars hinnehmen mußten. Dies war eine überaus paradoxe Situation: In den Filmen und in der Öffentlichkeit hatten die Stars Individualität zu verkörpern, vom Studio wurde bedingungslose Subordination unter die Firmenpolitik gefordert. Hinzu gesellte sich eine weitere Ambivalenz: die zwischen der erwarteten Darstellung immer gleicher Rollenstereotypen und dem genuinen Anspruch nach künstlerischer Entfaltung, also Variabilität.
Daraus erwuchsen psychische Konflikte, die nach einem Ventil verlangten. Die berüchtigten Star-Allüren waren noch die harmloseste Erscheinungsform des emotionalen Stresses. Weitere waren hemmungsloser Hedonismus oder asketische Zurückgezogenheit und Flucht in eine hermetische Kunstwelt.
Vielen der weiblichen Stars blieb nichts anderes übrig, als sich mit geradezu masochistischer Bereitwilligkeit der Gewalt der Studiopatriarchen zu unterwerfen. Dies ging bis zur absoluten Verleugnung eigener Bedürfnisse, was zu inneren Konflikten führte – die sich, bei Marilyn Monroe etwa, nur in Selbsthaß und Suizid entladen konnten. Andere wiederum entzogen sich gerade noch rechtzeitig dem Apparat, flüchteten wie Greta Garbo ins Private oder wie Ingrid Bergman ins tolerantere europäische Kino. Auch gab (und gibt) es eine Reihe Stars, bei denen die Anpassung reibungslos funktionierte. Diese konnten ihre Interessen und die der Hollywood-Fabriken – tatsächlich oder scheinbar – in Einklang bringen, vermochten sich selbst zu verwirklichen.
Am interessantesten aber sind die – wenigen – weiblichen Stars, die sich dem männlich dominierten Hollywood weder unterordneten noch sich ihm durch „Flucht“ entzogen. Quer durch die Filmgeschichte gibt es diese „anderen“ Frauen Hollywoods – die, die genug Mut aufbrachten, sich dem Star- und Studiosystem zu widersetzen, gleichzeitig von ihrer Individualität und von ihrem Lebensentwurf nicht abließen. Dies gestaltete sich als eine gefährliche Gratwanderung, die gelegentlich sogar glücklich endete. Fast immer aber veranstalteten die Unangepaßten einen tüchtigen Aufruhr im Zelluloidparadies; faszinierend sind sie allemal.
Alla Nazimova etwa, der gefeierte Broadwaystar, stanislavskijgeschult und mit der Duse verglichen. Sie widerstand lange der Verlockung des schnellverdienten Kintoppgeldes, ließ sich dann doch von dem neuen Medium herausfordern. Schauspielkunst aber war und blieb ihr Prinzip, für das sie ihre Reputation und ihr Vermögen aufs Spiel setzte. Sie kümmerte sich nicht um den Verhaltenskodex der Moralapostel und wurde eine der ersten, die man aus dem Paradies vertrieb. Mehr aus persönlicher Abneigung gegen die Hypokrasie der Hautevolee in Hollywood verweigerte sich Louise Brooks der Vereinnahmung durch die Fabrik. Sie blieb – später auch in ihren hellsichtigen Essays – ironisch-distanzierte Beobachterin. Auch sie wurde mit der Verbannung bestraft, auch sie zahlte für ihre Eigen- und Widerwilligkeit einen hohen Preis.
Aber die Stummfilmstars der lauten zwanziger Jahre waren Göttinnen; ihnen verzieh man fast alles, nicht zuletzt menschliche Schwächen. Ausschweifung und Eigensinn wurden zumindest von ihren Anbetern akzeptiert. Sie verkörperten Ideale, waren dem Lebensstil der Fans ohnehin derart weit entrückt, daß sie nicht mit der Elle der gewöhnlichen Sterblichen gemessen wurden, sondern mit dem Maßstab der Einzigartigkeit. Nur die Studiotaikune rechneten in Cents und Dollars : So lange die Exzentriker Erfolg hatten, der sich an der Kinokasse auszahlte, räumte man ihnen Sonderrechte ein. Falls nicht, besann man sich mit einem Mal der moralischen Verpflichtung dem Publikum gegenüber und beschnitt den Wildwuchs.
Der gegenüber dem Stummfilm realistischere Tonfilm brachte einen Strukturwandel. Verkörperten die Stars bis dato ein Ideal, so waren sie nun nur noch Repräsentanten des Typischen. Die Fans betrachteten die Stars bloß als besonders gelungene Exemplare ihrer selbst; an die Stelle traumentrückter Projektion trat bodenständige Identifikation. Mit wem man sich aber identifiziert, der hat sich auch den Sitten und Gebräuchen der Allgemeinheit zu unterwerfen. Klatschgeschichten wuchsen sich nun zu handfesten Affären aus, über die man nicht mehr mit einem Augenzuwinkern hinwegsehen konnte, sondern sich zu empören hatte.
So traf Frances Farmer die Intoleranz der amerikanischen Gesellschaft, der Hollywood-Society und der Studioherren in den Vierzigern weitaus heftiger als zuvor noch die charakterähnliche Louise Brooks. Beide waren zu taktischem Verhalten unfähig, waren ehrlich bis zur Selbstgefährdung. Nur vermochte die Farmer sich nicht in die Rationalität zu retten, zu einer Zeit, in der gefühlsmäßiges, irrationales Verhalten selbstmörderisch war. Während andere mit einer Gehirnwäsche halbwegs davonkamen: sie steckte man ins Irrenhaus, ihr öffnete man den Schädel.
Im Vergleich dazu schien es das Schicksal mit Marie Dressler noch gut zu meinen. Ein spätes Happy-End, wenn auch ein kurzes, krönte ihren lebenslangen Versuch, sich gegen eine Umwelt durchzusetzen, die Frauen nur akzeptierte, wenn sie schön und jung waren. Dresslers Reservat wurde die Komik und ihre Waffe der Humor. Nicht eine Aura des Göttlichen, Unnahbaren umgab sie, sondern die Sympathie des gemütlichen Kumpels. Ihr vielfaches Engagement, das patriotische, das gewerkschaftliche und das für die Frauenrechte, brachte ihr nur wenig Dank. Kaum ein anderer Star war wie sie gezwungen, mit eisernem Willen eine schier endlose Periode der Arbeitslosigkeit und Vergessenheit zu überwinden.
Mit dem Ego einer Dampfwalze überstand Mae West die Versuche, sie zum Schweigen zu bringen. Ihr Mutterwitz und ihre gnadenlose Ironie halfen ihr, gegen alle Klippen des Lebens zu laufen, ohne daran zu zerschellen. Zensur, Moralappelle und Berufsverbote, nichts schien ihr etwas anhaben zu können. Einen kurzen Gefängnisaufenthalt nutzte sie, um ein neues Stück zu verfassen; als sie keine Filme mehr machen konnte, ging sie zum Radio und von dort zur Bühne zurück. Ob sie letztendlich die perfekte Verkörperung des Starideals war und die Erfüllung aller Männerphantasien oder ob sie beides nur persiflierte und ad absurdum führte, wer vermag dies zu entscheiden? Je nach eigenem Blickwinkel läßt sich das eine ebenso wie das andere in sie hineinlesen.
Die Klammer von diesen großen klassischen Stars zu den modernen wie Jane Fonda und Shirley MacLaine bildet Katharine Hepburn. In ihrer mehr als ein halbes Jahrhundert umspannenden Karriere – in der sie durchaus nicht immer ein Star war – hat sie sich zu einer der schillerndsten Figuren des Hollywood-Kinos entwickelt. Mehr noch als die anderen rebellischen Frauen im Filmbusiness widersetzt sie sich jeder Kategorisierung. Sie vereinigt den glamourösen Hollywood-Star von einst und die selbständig-selbstbewußte Frau von heute zu einer singulären Erscheinung. Mit ihrem spröden Charme, ihrer kühlen Beherrschtheit und ihrem mit einem kräftigen Schuß Arroganz verstärkten Ego brachte sie das Kunststück fertig, die Anpassungsmaschinerie umzudrehen. Sie machte sich Hollywood Untertan, gerade indem sie kein Fettnäpfchen und keinen Regelverstoß ausließ.
Die neuen Stars seit den späten sechziger Jahren bis heute betätigen sich zunehmend auch außerhalb des Filmemachens. Das Hollywood-Kino scheint ihnen gelegentlich nur als Mittel zu dienen – als Mittel für ein eigentliches Leben. Für politische – und auch geschäftliche – Aktionen bei Jane Fonda, für private Erfüllung und Selbsterforschung bei Shirley MacLaine. Wenn bei den früheren Stars, zumal bei denen des Stummfilms, deutlich wurde, daß dieser Status ihnen eine ungewöhnliche Aura verlieh, so lassen die heutigen erkennen, welche Vorteile darin liegen, Star zu sein. Dieser „Beruf, je nach Person als Job oder Profession aufgefaßt, liefert eine soziale und ökonomische Sonderstellung, läßt aber gleichzeitig genügend Zeit und Energie für außerfilmisches Engagement. So sind Jane Fonda nach ihrer Kollisionsphase mit dem Establishment und die MacLaine, nun endlich dem Zwang zu belanglosen Rollen entkommen, glücklicher dran als die meisten ihrer Vorgängerinnen. Für beide zahlt sich die jahrelange zähe Beharrlichkeit heute offenbar aus. Doch wer weiß? Wie schnell kann sich dies ändern, wenn ihre Filme nicht mehr den Erfolg haben wie jetzt?
Die Frauen einer noch jüngeren Darstellergeneration scheinen den Starstatus nicht mehr anzustreben – wenigstens nicht im herkömmlichen Sinne. Sie leben, wie Meryl Streep – oder unter den männlichen Akteuren Robert De Niro –, in New York anstatt in Kalifornien, verweigern sich den Rollenstereotypen und den herrschenden Schönheitsidealen. Wie ihre europäischen Kollegen verstehen sie sich mehr als Schauspieler denn als Darsteller, versuchen sich an einer möglichst nuancenreichen Rollenpalette und lassen die Person des Interpreten hinter den Charakter der Figur zurücktreten. Sie haben es kaum noch nötig, gegen den Würgegriff Hollywoods zu rebellieren – er vermag sie nicht zu erreichen.
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Unter den prestigevolleren Tätigkeiten bei der Filmproduktion ist die des Darstellers oder des Stars die einzige, die auch Frauen in größerem Maße offenstand. Über die biologische Notwendigkeit hinaus, daß Frauen (zumindest seit dem Ende des Shakespeare-Theaters) von Frauen dargestellt werden, fiel es den Männern um so leichter, in diesem Bereich Frauen gleichwertig zuzulassen, als dieser nicht eigentlich als „künstlerisch“ angesehen wurde.
Der Beruf des Schauspielers gilt seit jeher mehr als reproduzierend denn kreativ, in manchen Zeiten haftete ihm sogar ein wenig der Ruch des „Weibischen“ an. Schließlich handelt der Schauspieler – ob männlich oder weiblich – auf Weisung des Regisseurs und interpretiert einen vor-geschriebenen Stoff. Nicht von ungefähr betrachtet man oder betrachten sich im allgemeinen die Regisseure (in den USA vielleicht noch die Producer) als die „Macher“ des Kinowerks. Und Macher können – nach männlichem Verständnis – eigentlich nur Männer sein. Daß aber auch Frauen Filmemacher(innen) sein können, und nicht erst seit heute, sondern von den frühesten Kindertagen des Films an, das hat die (männliche) Geschichtsschreibung nicht registriert, nicht wahrhaben wollen, verdrängt oder gar absichtsvoll unterschlagen. Man suche nur einmal die gerne als „Standardwerke“ gehandelten Filmgeschichten nach weiblichen Regisseuren wie Alice Guy, Lois Weber, Dorothy Arzner, Ida Lupino usf. ab – man wird nichts oder so gut wie nichts finden.
1974 kam bei einer statistischen Untersuchung heraus, daß unter den 5000 Filmregisseuren auf der Welt gerade 150 Frauen zu finden sind. Dies ergibt ein groteskes Mißverhältnis, das wesentlich schlechter noch ist als das in allen anderen künstlerischen Berufen oder solchen mit vergleichbarem Sozialprestige. Das Kino – sieht man einmal von den weiblichen Darstellern ab – ist offenbar einer der sichersten Horte männlicher Dominanz. Dies gilt in noch weitaus größerem Maße für Hollywood, wie eine andere Zahl, aus dem Jahr 1980, verdeutlichen mag: Von den 7332 Spielfilmen, die in den USA zwischen 1950 und 1980 entstanden, wurden sage und schreibe 14 von Frauen gemacht. Das sind weniger als zwei Promille.
Trotz dieser Zahl haben sich die Möglichkeiten für Regisseurinnen im kommerziellen amerikanischen Kino in den letzten zehn Jahren, im Vergleich zur Blütezeit des Hollywood-Studiosystems, ein wenig verbessert. Verblüffen mögen aber die Angaben des englischen Filmhistorikers Anthony Slide über die Zahl der weiblichen Regisseure in der Frühgeschichte des US-Films. Er spricht, in seinem Buch Early Women Directors (deutsch: „Engel vom Broadway“), von „mehr als dreißig Regisseurinnen in der amerikanischen Filmindustrie“. Dies ist eine Zahl, von der die professionellen US-Filmemacherinnen von heute nur träumen können.
Wer daraus aber ableiten wollte, Regisseurinnen hätten es früher besser gehabt und der Sexismus in Hollywood habe seitdem kontinuierlich zugenommen, der vernachlässigt völlig die ökonomische Metamorphose des Films von einer Jahrmarktunterhaltung zu einer respektablen Industrie. In den Pioniertagen war der Zugang zum Film verhältnismäßig einfach, für Männer ebenso wie für Frauen. Das Sozialprestige dieses Mediums war minimal, Strukturen waren noch nicht ausgebildet, und vom Big Business war noch nichts zu sehen. Jedermann, jede Frau konnte sich in kürzester Zeit Kenntnisse genug aneignen, um mitzukonkurrieren; auch war der Kapitalbedarf gering. Allgemein herrschte ein Mangel an Leuten mit Ideen, und wer solche hatte, dem standen alle Türen offen. Die rasche Karriere von Alice Guy, in Frankreich und den USA, insbesondere aber auch, wie diese endete, sobald der Film sich etabliert hatte, belegt dies aufs deutlichste.
Die Betätigung als Regisseurin gestaltete sich für die Frauen in der Zeit vor 1925 auch deshalb unproblematisch und ohne größere Konflikte mit den männlichen Kollegen, da ihre Anpassungsbereitschaft nie in Frage stand. Die damaligen Regisseurinnen verbanden die Arbeit im Film nicht mit der Durchsetzung frauenrechtlicher Ziele oder dem Anspruch auf Selbstverwirklichung, sondern versuchten, „ihren Mann zu stehen“. Wie die Geschichte lehrt, honoriert dies die patriarchalische Gesellschaft immer dann, wenn Frauen „gebraucht“ werden, d. h., wenn ein Arbeitskräftemangel vorhanden ist, den Männer nicht unmittelbar ausfüllen können oder wollen. Etwa war dies in den beiden Weltkriegen der Fall, als die Frauen in den Fabriken, Geschäften und Büros die Stelle der Männer, die an der Front kämpften, vorübergehend einnehmen durften. Mit dem Aufstieg der Filmindustrie begann auch die Verdrängung der Regisseurinnen durch die Männer, wobei überrascht, wie bereitwillig sie ihren Platz freimachten.
So gut wie keine der Frauen konnte sich im frühen Tonfilm noch als Regisseurin behaupten, Dorothy Arzner ist eine der wenigen Ausnahmen. Sie war dabei keineswegs auf eine bestimmte Sparte oder auf zweitrangige Streifen festgelegt und konnte, wenn auch unter Schwierigkeiten, selbst „große“ Filme realisieren. Sie und Ida Lupino waren die weißen Raben unter den Regisseuren und sollten es für lange Zeit bleiben.
Erst unter dem Druck der weiblichen Emanzipation und durch das Interesse, das die Frauen seit den späten sechziger Jahren für das Filmemachen entwickelt hatten, brachen die Schotts. Allerdings waren diese ohnehin geschwächt durch die Krise, in die sich Hollywood hineinmanövriert hatte. Die Frauen fanden heraus, daß der Film mit seiner prinzipiell kollektiven Produktionsweise und mit seiner beachtlichen gesellschaftlichen Reichweite gerade den weiblichen Intentionen entgegenkam. Sie formten Kollektive, die sich zunächst auf den nichtkommerziellen Bereich, den Experimental- und Dokumentarfilm, bald auch auf den Off-Hollywood-Spielfilm konzentrierten. Aber sie stürmten dann auch gegen die Tore der Hollywood-Studios an und konnten in den Siebzigern einige Erfolge verbuchen.
Heute jedoch scheinen die Filmemacherinnen mit ihrem Anspruch, in der Filmindustrie kontinuierlich arbeiten zu können, gescheitert. Es bleibt abzuwarten, ob dies nur eine vorübergehende Phase ist. Wie Claudia Weills Erfahrungen mit Hollywood belegen, ist der Zugang zu Regieaufträgen, der auch für männliche Newcomer alles anders als leicht ist, für eine Frau nur über den Weg extremer Außenseitererfolge möglich. Und sie hat nur einen Versuch. Ist der erste Film, den sie dann tatsächlich in Hollywood und mit vollem Budget drehen kann, nicht gleich ein Kassenhit, so wird sie aus dem Paradies sofort wieder vertrieben. Bei den männlichen Kollegen ist dies anderes. Sie dürfen auch durchschnittliche Filme machen, ihnen sieht man sogar ein, zwei Mißerfolge beinahe verständnisvoll nach, gibt ihnen eine neue Chance.
Das American Film Institute, das Mitte der siebziger Jahre den eklatanten Mangel an Regisseurinnen in Hollywood konstatierte, versuchte einen neuen Weg. Es richtete einen besonderen Lehrgang für Frauen ein, die bereits in der Filmindustrie – sei es als Schauspielerin, Drehbuchautorin oder in technischen Bereichen – arbeiteten und ins Regiefach wechseln wollten. Darüber hinaus gewährte das AFI Förderungsprämien für junge Filmemacher(innen). Dennoch ist die Situation der Frauenfilmerinnen in den USA mit denen in Europa nicht zu vergleichen. Durch das in Europa und besonders in Deutschland übliche Förderungssystem von Filmprojekten, hatten und haben Filmemacherinnen hierzulande seit den frühen siebziger Jahren bessere Möglichkeiten, auch Spielfilme zu realisieren. Es ist bezeichnend, daß es in den USA zur Zeit noch weniger weibliche Spielfilmregisseure gibt als beispielsweise in der BRD. Eine von Trotta, eine Sanders-Brahms, Filmemacherinnen also, die verhältnismäßig kontinuierlich Spielfilme realisieren können, gibt es im Hollywood-Kino zur Zeit nicht. Die wenigen Regisseurinnen, die in den letzten Jahren überhaupt noch Spielfilme machen konnten, arbeiteten wie Jane Wagner (moment by Moment) oder Joan Tewkesbury (old boyfriends) nur ein einziges Mal in Hollywood oder in sehr großen Abständen, oder sie drehen wie Joan Micklin Silver (hester street, between the Lines, head over heels) oder Susan Seidelman (smithereens, desperately seeking susan) mehr oder weniger „unabhängig“ vom großen Hollywood-Geld in New York. Claudia Weill schaffte zwar mit ihrem auf eigenes Risiko gedrehten girlfriends scheinbar mühelos den Sprung nach Hollywood, aber den nur moderaten Erfolg von it’s my turn verzieh man ihr nicht. Das einzige Mädchen unter den Wunderkindern des New Hollywood wurde wie ein illegitimer Sproß von der Familie verstoßen. Auch die an der Ostküste entstehenden Filme der new independents bieten nur begrenzte Freiräume. Auch sie unterliegen den Gesetzen des Marktes, müssen ihre Produktionskosten wieder einspielen, müssen sich daher an ein breites Publikum richten und weitgehend einem Unterhaltungsanspruch Genüge tun.
In der dritten künstlerischen Sparte, dem Drehbuchschreiben, sieht die Situation der Frauen auch nicht allzu rosig aus. In den dreißiger und vierziger Jahren hatten weibliche Drehbuchautoren, zumindest bei MGM, eine beachtliche Machtposition erreicht. Anita Loos, Frances Marion und Bess Meredyth bildeten in dem Studio eine Art Feminat. Im Laufe ihrer Karrieren konnten diese drei Frauen nicht nur Hunderte von Scripts verfassen, ihnen waren auch zahlreiche männliche Kollegen unterstellt, und sie hatten großen Einfluß auf den Stil und die Politik des Studios. Einen anderen Typus verkörpert Lillian Hellman, die nur wenig fürs Kino arbeitete. Weitaus mehr als im Film engagierte sie sich – ganz im Gegensatz zu Anita Loos – in der Politik. Dennoch war ihr Einfluß auf Hollywood keineswegs gering. Ihr auch persönlich motivierter Kampf gegen die Hexenjagd und die schwarzen Listen liefert das Beispiel einer De-facto-Emanzipierten, die für die Frauenbewegung jedoch keinerlei Interesse zeigte.
Herausragende Drehbuchautorinnen sind im New Hollywood nicht zu verzeichnen. Wie die Filmemacherinnen leiden auch sie unter dem Mangel an kontinuierlichen Arbeitsmöglichkeiten. Es bedarf offenbar eines Studiosystems mit seiner hohen Produktivität, damit sich professionelle Drehbuchautorinnen herausbilden können.
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Die Art des Eigensinns, des Rebellischseins gegen das patriarchalische System des Hollywood-Films ist vielfältig. Und es hat sich im Laufe der 75jährigen Geschichte verändert. Ohne so weit gehen zu wollen, hier einen geradlinig fortschreitenden Prozeß zu unterstellen, so konnte doch jede der Frauen, die sich in und gegen Hollywood durchzusetzen versuchte, teilweise auf die Ansätze der Vorgängerinnen, auf deren Siege oder Niederlagen, aufbauen. Der vielbenutzte Begriff der Emanzipation muß als relativer, historisch zu differenzierender verstanden werden. Für die einen Frauen mag ein Riesensprung gewesen sein, was späteren nur wie ein winziger Schritt vorkam. Aber es war für Alice Guy sicherlich genauso mutig, überhaupt als Regisseurin arbeiten zu wollen, wie für Mae West, das Wort „Sex“ öffentlich auszusprechen; für Jane Fonda, nach Nordvietnam zu fahren, wie für Claudia Weill, mit einer lächerlich geringen Summe im Rücken, einen Spielfilm über zwei Freundinnen zu beginnen. Sich auf den Film, auf Hollywood einzulassen, sich mit den von den Männern eingeräumten Nischen nicht zufriedenzugeben und von seinem persönlichen Weg, und sei er noch so gewunden, nicht abzugehen: Mut gehört allemal dazu. Denn das Paradies ist in Wahrheit auch die Höhle des Löwen.
Aus: Paul Werner und Uta van Steen: Rebellin in Hollywood. 13 Porträts des Eigensinns. Frankfurt 1986 / (4. Aufl.) Frankfurt 1990: Zweitausendeins. S. 11-25.
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