Paul Werner
Star und Zimmermann
Das Ende des Autorenfilms - der Anfang eines neuen Starkinos?
Was wird werden, wenn Amerika die europäischen Ateliers, Verleihe, Kinos beherrscht? In dem Augenblick, wo die Amerikaner praktisch das Monopol besitzen (auf das »offizielle« werden sie pfeifen können), werden die Hollywood-Methoden überall durchgeführt werden, und zwar in einer Form, die noch einseitiger sein wird als die jetzige. Hollywood bedeutet bereits Konzentration in äußerster Konsequenz. – Das Ergebnis ist Mangel an Ideenfrische, jene kindische Angst vor fortschrittlichem moralischen oder sozialen Denken.
Wenn dieses Lamento über die erdrückende Übermacht des amerikanischen Kinos auch schon mehr als ein halbes Jahrhundert alt ist – die obigen Sätze stammen aus der Weltbühne vom August 1931 –, so ist sein Tenor (wieder einmal) von trauriger Aktualität. Während Hollywood-Filme in den deutschen Kinos Rekordeinnahmen verzeichnen, im letzten Jahr sogar ihr bestes Ergebnis erzielten, wird dem deutschen Film für 1985 nur noch ein Marktanteil zwischen drei und fünf Prozent prognostiziert. Lösungsvorschläge sind nicht in Sicht. Weder ist der Ruf nach einer Kontingentierung amerikanischer Filme realistisch, noch halten die kurzzeitig aufflackernde Hoffnung auf ein EG-Kino, das den Amerikanern Paroli bieten könnte, oder der Traum vom europäischen Großproduzenten und -Verleiher Gaumont näherer Betrachtung stand: auch die europäischen Nachbarn sind nicht besser dran. Italien, England, selbst das bislang erfolgsverwöhnte Frankreich, alle sehen ihre nationale Filmkunst in höchster Gefahr.
Die Filmkrisen sind in erster Linie Kinokrisen. Es wird zwar produziert, aber der Absatz stagniert, besonders in der Bundesrepublik. Die Kinobesucher sind kaum noch für Filme made in Germany zu begeistern; und schuld daran haben – wie immer – nur andere: das Fernsehen, das mit einem Überangebot von attraktiven Filmen lockt; Video, Kabel, Satelliten und weitere »neue Medien«; der amerikanische Kulturimperialismus; der schlechte Geschmack des Publikums; dazu Innenminister Zimmermann mit seiner gespenstischen Filmpolitik und dem Schlagwort vom »Publikumsfilm« (für die einen) oder die elitäre Kunstsinnigkeit des Autorenfilms (für die anderen).
Doch wenn die Not am größten, scheint die Rettung am nächsten. Mit einem Mal ist wieder von etwas die Rede, das jahrelang als verschollen galt: der deutsche Filmstar. Da erschien im Februar diesen Jahres in einer Taschenbuchreihe, die sich »Filmbibliothek« nennt, ein Band mit dem selbstbewußten Titel »Die neuen Stars des deutschen Films« – ganz ohne Fragezeichen dahinter. Lexikonartig werden darin Miniporträts bundesdeutscher (sowie österreichischer und schweizerischer) Schauspieler und Schauspielerinnen aufgefächert, 47 an der Zahl, und alle sollen Stars sein. Zweifel sind angebracht. Gleich der erste heißt Herbert Achternbusch, und dem ist ja schon manches nachgesagt worden, aber daß er ein Star sei? Ihm und uns zum Trost wird Achternbusch nur ein paar Zeilen weiter bestätigt, er habe »von seiner Amateurhaftigkeit jedoch nichts verloren«. Viele der anderen aufgeführten Größen des deutschen Films wie Harry Baer oder – um gleich ans Ende des Alphabets zu springen – Margarethe von Trotta und Rolf Zacher überzeugen unter der Rubrik »Star« auch nicht, ebensowenig wie das Hamilton-Mädchen Anja Schute.
Sei es Zufall oder Trend, im selben Februar beglückt »Europas größte Filmzeitschrift« Cinema uns unter der trotzig-optimistischen Parole »Es geht aufwärts« mit einer Coverstory über die deutschen Stars der achtziger Jahre. Auch hier die gleiche kuriose Mischung aus bewährten Leinwandmimen und talentierten Nachwuchskräften.
Man ist versucht, dies alles als künstliches Hochjubeln der einheimischen Kinoprominenz und -halbprominenz abzutun, als neuerlichen Beweis für den inflationären Gebrauch des Epithetons »Star«, dem alle verfallen sind: die Feuilletonisten, die das Wort »Hauptdarsteller« aus ihrem Vokabular gestrichen haben, ebenso wie die Yellow-Press-Schreiber, für die jeder ein Star ist, dessen Namen sie richtig buchstabieren können, und der Stoff für eine Personalie hergibt.
Doch mit Staunen registriert man: daß auch eine Talkshow-Runde des Ersten Deutschen Fernsehens sich anderthalb Stunden lang den Kopf über »Stars und Idole« zerbricht und meint, durch diese würde in den Achtzigern der Fortschrittsglaube früherer Zeiten abgelöst. Daß ein Fernsehbericht vom Festival in Cannes »Stars« zum Leitmotiv macht. Daß sich überhaupt die Zeichen mehren, es hier mit einem zukünftigen »In«-Thema zu tun zu haben: Stars scheinen in aller Munde zu sein und irgendwie auch die Personalisierung aller Hoffnung – oder Furcht – des deutschen Films.
Wenn der oberste deutsche Film- und Geschmackskritiker Friedrich Zimmermann davon schwärmt, »Filme zu schaffen, die weite Kreise der Bevölkerung interessieren, ansprechen, bewegen«, so klingt das angesichts der derzeitigen Kinokrise erstens gar nicht mal so falsch und zweitens nicht viel anders als das »Unsere Verbündeten können nur die Zuschauer sein« aus der Hamburger Erklärung der Filmemacher vom September 1979. Man muß schon genauer hinhören und hinsehen, um zu erfahren, was Zimmermann will: eine filmpolitische Halse zum Staats-und-Unterhaltungsfilm nämlich, der dem Publikum genau die Fluchtträume liefert, die es in den alles andere als rosigen Zeiten zu brauchen glaubt. Das ökonomische Rezept ist einfach: mehr Geld für weniger Filme und nur noch für die ohnehin erfolgreichen, während das Unkonventionelle leer ausgeht.
Mehr als gelegen kommt diese Filmpolitik einer Reihe von Nachwuchsregisseuren, die in ihren Startlöchern nur auf dieses Signal gewartet zu haben scheinen. Mit einem Auge spöttisch auf die Autorenfilm-Väter hinabblickend, schielen sie mit dem anderen auf amerikanische Vorbilder. Das Kino in ihrem Kopf: ein Action-, Genre-, Kommerz- und Eskapismuskino der weltweiten Konsumierbarkeit und Anerkennung, ein Kino mit Glamour, Glitter und Filmballprominenz, mit der sich auch Politiker so gerne umgeben. Und im Schnittpunkt der Interessen von Jungregisseur (und Altproduzent), Filmpolitiker und Zuschauer soll der freche, aber nicht zu freche Publikumsliebling stehen, der stellvertretend lebt und handelt und Sehnsüchte aufsaugt wie ein Schwamm: der (Beinahe-)Star. Er als einziger nimmt sich all die großen und kleinen Freiheiten, die sich die Zuschauer Mitte der Achtziger längst nicht mehr herauszunehmen wagen, er verkörpert und neutralisiert zugleich die heimlichen Wünsche, die dann außerhalb des Kinos keine Energie mehr freizusetzen vermögen. Die Helden dieses neuen Unterhaltungskinos sind genau das Palliativ, das die CDU-Regierung ihren zukunftslosen Jugendlichen verordnen möchte.
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Keineswegs zwangsläufig aber müßten Stars, sosehr sie auch der Zimmermannschen Filmpolitik in den Kram passen würden, geradewegs zurück zum Kino der fünfziger Jahre führen, das zwar Stars aufzuweisen hatte, aber auch überwiegend furchtbare Filme. Andere Stars in anderen Filmen wären denkbar. Es wäre immerhin lohnend, die Möglichkeiten eines Starkinos auszuloten und zu sehen, ob darin nicht auch ein Weg liegt, den deutschen Film für die Zuschauer wieder attraktiver zu gestalten.
Im Kino finden, da sich neue Zuschauerschichten auf absehbare Zeit nicht erschließen lassen werden, Verteilungskämpfe statt – da liegt der Gedanke nicht allzufern, die Amerikaner mit ihren eigenen Mitteln abzuwehren. Und wer einräumt, daß der neue deutsche Film nicht nur – eher wenige – Meisterwerke geschaffen hat, sondern auch viel Mittelmaß, wer gelegentlich über der Thesenhaftigkeit interessante Geschichten vermißt und sich nach lebendigen Kinofiguren anstelle des Ästhetizismus gesehnt hat, der wird sich auch Filme gewünscht haben, in denen die Darsteller mehr im Mittelpunkt des Geschehens und höher in der Gunst der Regisseure stünden. Das Potential der deutschen Schauspieler ist von einem Niveau und von einer Fülle wie lange nicht. Durch ihre Eigenart in Gestik, Mimik und Sprachgestus könnten gerade sie wie sonst niemand dem deutschen Film ein unverwechselbares Gesicht geben. Europäische Coproduktionen oder krypto-amerikanische Mammutunternehmungen nach Art der Bavaria sind da kein Ersatz.
Der Personenkreis, der überhaupt noch ins Kino geht, ist zu 80 Prozent unter 30 Jahre alt. Und wenn man – anstatt ausschließlich Pressevorführungen – einmal eine ganz normale Samstagabendvorstellung in einem der Kino-Center besucht, sieht man, wie sehr die Teens in der Überzahl sind. Für diese Jugendlichen ist Kino weiß Gott mehr als »eine öffentliche Abspielstätte für Filme«, auf die es Christel Buschmann einmal zu reduzieren beliebte. Für dieses Publikum bedeutet Kino die Möglichkeit, dem elterlichen Fernsehabend zu entkommen (selbst wenn dort womöglich dieselben Filme zum Nulltarif konsumiert werden können) und innerhalb einer Gruppe Gleichaltriger und Gleichgesinnter an einem »Ereignis« teilzunehmen. Dazu sind sie bereit, Geld, Zeit und Energie zu mobilisieren – wer von denen über 30 ist das noch? Die Jugendlichen allein bestimmen den herrschenden Kinogeschmack, von dem auch das – einst andere – Publikum der Programmkinos nicht mehr allzuweit entfernt ist. Auch dort hat sich ein Unterhaltungsbedürfnis breitgemacht, in dem Gesellschaftskritisches oder Experimentelles kaum noch auf Gegenliebe stößt.
Die Entscheidung, sich einen bestimmten Film anzusehen, wird weitgehend intuitiv getroffen, basierend auf vorangehenden Erfahrungen und anhand von Orientierungsmerkmalen, in denen ein Versprechen liegt und die Garantie, daß dieses eingelöst wird. Orientierungsmerkmal ist in der Mehrzahl der erfolgreichen Filme der Star. So kümmert den Zuschauer, und wer wollte ihm das verdenken, kaum, wer INDIANA JONES gemacht hat, dagegen aber, daß Harrison Ford wieder die Titelrolle spielt. Nicht der Name des Regisseurs von BEVERLY HILLS COP bleibt im Gedächtnis haften, sondern der tolle Bursche namens Eddie Murphy, der die Leute auch in seinen nächsten Film holen wird. Wer sich für einen bestimmten Film entscheidet, der sucht im Neuen auch das Bewährte, schon Vertraute. Nur in Ausnahmefällen wird dies einzig und allein der Name des Regisseurs sein, so gut wie nie der eines kaum bekannten Autorenfilmers, von dem man vielleicht vor anderthalb oder zwei Jahren zuletzt gehört haben mag – eine lange Zeitspanne nicht nur für Jugendliche. Mit einiger Sicherheit könnten dagegen deutsche Darsteller und Darstellerinnen zu dem attraktiven Markenzeichen werden, zu dem die Autorenfilmer – bis auf das halbe Dutzend der großen Namen –, aber auch der neue deutsche Film als Ganzes sich nie haben entwickeln können. In diesem Kinoklima der Stars oder Beinahe-Stars hätte der deutsche Film eine Chance, wie er sie zur Zeit nicht hat.
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Versucht man der Frage nachzugehen, ob sich bei uns Filmstars überhaupt durchsetzen können, sieht man sich zunächst damit konfrontiert, daß über Stars viel geredet und geschrieben wird, daß offenbar aber Verwirrung darüber herrscht, was ein Star sei. So bei einer Diskussion während der »Mainzer Tage der Fernsehkritik« des Jahres 1983, in der das Thema »Stars« gestreift wurde; Volker Schlöndorff vertrat dabei die Ansicht, »wenn das deutsche Publikum einen Star haben will, dann wird es sich ihn suchen«, und hielt es für einen »Irrglauben ..., daß industrielle Marktstrategien den Star aufbauen«. Wolf Donner, wie auch andere, setzte dem entgegen, »daß Stars sehr wohl gemacht werden können«. Diese widersprüchlichen Auffassungen sind bezeichnend für die hierzulande stets gescheute theoretische Auseinandersetzung mit dem Star-Begriff, woraus sich auch erklärt, warum auch heute noch gerne auf Enno Patalas' »Sozialgeschichte der Stars« von 1963 zurückgegriffen wird, die aber kaum mehr bietet als eine Typologie amerikanischer Stars.
Vor allem zwei Aspekte des Star-Begriffes sind in diesem Zusammenhang wichtig. Zunächst der einer spezifischen Ästhetik, der Art und Weise, wie ein Star innerhalb des filmischen Geschehens dargeboten wird. Ein Film, der seinen Hauptdarsteller als Star propagiert, wird eine bestimmte Geschichte erzählen und diese vor allem in einer bestimmten Weise erzählen. Sämtliche narrativen und filmischen Mittel wie Plotaufbau, Dramaturgie, Motivation der Figuren, Mise en Scène, Montage, Einsatz von Musik und Licht und weitere werden in hohem Maße darauf ausgerichtet sein, der Hauptfigur Charisma zu verleihen, sie als außergewöhnlich zu zeichnen und doch zugleich auch als Typus – und sie somit abzugrenzen von einer individualistischen Einzelperson auf der einen und vom Durchschnittsmenschen auf der anderen Seite.
Diese sorgfältig aufrechterhaltene Balance entspricht einer zweiten: die Figur muß einerseits dem Zuschauer genügend vertraut sein und dessen Erfahrungsbereich entstammen, andererseits muß sie sich von ihm erheblich unterscheiden, um ihm die Möglichkeit der Wunsch- und Angstprojektion zu bieten. Derartige Filme, mit der Ästhetik des »Starfilms«, sind auch in der heutigen bundesrepublikanischen Filmlandschaft machbar, und mit ihnen wäre eine der unabdingbaren Voraussetzungen für Stars gegeben. Darsteller könnten in und mit diesen Filmen Popularität gewinnen und zum Markenzeichen werden – und sind es im Ansatz bereits: Prochnow, Brandauer, George und Schygulla, Landgrebe, Sukowa sowie einige andere. Stars aber sind sie damit noch nicht.
Dazu gehört mehr. Ein zweiter Aspekt des Star-Begriffes wird an dieser Stelle wichtig; er ist außerfilmischer Natur. Um ein Star zu werden, muß ein Darsteller im Bewußtsein der Zuschauer ein spezifisches Image erzeugen, das als Verlängerung der im Film dargestellten Figur(en) erscheint. Der Darsteller wird vom Publikum mit seiner (Standard-)Rolle identifiziert und beides verschmilzt zu einer – fiktiven – Person, die innerhalb wie außerhalb des Kinos, gewissermaßen auch zwischen den einzelnen Filmen, Bestand hat. Nun erst ergibt sich – als ästhetische Rückkoppelung – in den Filmen das für den Zuschauer so faszinierende Zusammen- und Gegeneinanderspiel von Rolleninterpretation und Selbstdarstellung der Person des Stars. Gerade die Frage, auf welche Weise ein solches Image sich herauskristallisiert, provoziert die zitierten widersprüchlichen Ansichten über die »Machbarkeit« von Stars, die von der These der freien Entscheidung des Zuschauers bis zu der der Manipulation durch die Produzenten variieren. Schlöndorff und Donner haben somit gleichermaßen unrecht: weder können sich die Zuschauer ihre Stars frei aussuchen – es muß ein Angebot von populären Darstellern existieren, die in einer Reihe von Star-Rollen ein Image entwickeln konnten –, noch können die Produzenten den Zuschauern Stars aufzwingen; sie können lediglich ein Angebot machen, aus dem die Zuschauer sich ihre Stars aussuchen. Natürlich läuft dieser Prozeß nicht in einem völlig ausgewogenen Gleichgewicht von Produzenten und Konsumenten ab. Gerade auf der Produktionsseite wird erheblicher Aufwand getrieben, etwa Marktanalysen, Warenästhetik, Werbung, um das Kräfteverhältnis zu ihren Gunsten zu verändern. Am prinzipiellen Ablauf ändert das jedoch nichts.
Wichtiger ist, daß es gewisser Grundvoraussetzungen bedarf, damit dieser Prozeß überhaupt in Gang kommt. »Wenn es eine Gerechtigkeit auf der Welt gäbe (und eine Filmindustrie in Deutschland), müßte Gudrun Landgrebe über Nacht ein Star geworden sein.« In diesem Satz von Hans-Christoph Blumenberg aus seiner Kritik zu der FLAMBIERTEN FRAU steht das Wichtigste und Richtige in der Klammer. Star wird man zwar nicht über Nacht (das sieht immer nur so aus), aber eine Filmindustrie braucht es dazu tatsächlich. Nur diese kann einem Darsteller, einer Darstellerin die Kontinuität gleicher oder ähnlicher Rollen garantieren – mit entsprechender Star-Ästhetik –, die ein Image erst erzeugen können. In der Bundesrepublik Mitte der achtziger Jahre ist diese Filmindustrie nirgendwo in Sicht, allenfalls wird hier eine Serie von Blödel- oder Schlagerfilmen einigermaßen industriell hergestellt. Auch die Zimmermannsche Filmpolitik wird so bald nicht in der Lage sein, in breiterem Maße eine industrielle Filmproduktion aus dem Boden zu stampfen. Selbst wenn Zimmermann die erforderlichen Mittel zur Verfügung stellen könnte, den notwendigen Absatzrahmen hätte er damit noch lange nicht geschaffen. Daran dürfte nicht zu zweifeln sein: die Hoffnung auf ein neues deutsches Starkino wird sich – bis auf ganz wenige Ausnahmen – nicht erfüllen. Kinolieblinge durchaus, Stars nicht.
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Den neuen deutschen Film, der – folgt man Peter Buchkas »Schwanengesang« im »Jahrbuch Film 1983/84« – längst tot ist, hat möglicherweise gerade das Unterschätzen der Darsteller als Attraktionswert für den Zuschauer das Leben gekostet. Selbstverständlich kann man ihm nicht vorwerfen, daß er keine Stars offeriert hat. Zum einen deckte sich seine Ästhetik nur an wenigen Punkten mit der des Starfilms, zum anderen war er einem weitgehend handwerklichen Arbeiten verpflichtet. Zu einer filmindustriellen Produktionsweise hat siech der Autorenfilm nie entwickeln wollen – und auch nicht können. Sein klares Defizit liegt aber darin, daß er das Potential der deutschen Schauspieler und Schauspielerinnen nur ungenügend genutzt hat. In seinen Filmen noch am ehesten, weitaus zu wenig aber nach außen hin, in dem, was in der Werbebranche PR und Marketing heißt. »Ein Film von ...« sollte das – eitle – Gütesiegel des neuen deutschen Films sein, das der Markt aber als solches nie akzeptiert hat. Vielmehr offenbarte sich darin der Personenkult der »Filmemacher« und »Autoren«, wie sie sich nannten, der nur bei denen der allerersten Riege, bei Wenders, Herzog, Fassbinder, Schlöndorff und vielleicht noch einigen wenigen anderen, völlig berechtigt war, nicht aber bei den vielen, die den Zuschauern nie zum Begriff wurden. Nur in den Filmkritiken durfte noch jeder drittklassige Regisseur mit einer Aufmerksamkeit rechnen, die den oft weit wichtigeren Schauspielern nur selten zuteil wurde.
Der neue deutsche Film, der sich ja zu einer gemeinsamen Ästhetik – auf die sich die Zuschauer hätten einstellen können – nie entwickelte und ein Kino der Individualisten (oder der Eigenbrötler) blieb, hätte eine gemeinsame Klammer in den Darstellern finden können. Die Regiekollegen und Vorbilder der Nouvelle Vague haben gezeigt, daß dies möglich ist. Die französischen Erneuerer des Kinos hatten weder Berührungsängste vor den bereits etablierten Stars, noch sind sie davor zurückgescheut, – gemeinsam – neue durchzusetzen. Der einzige, der das in Deutschland gewagt und erreicht hat, war Fassbinder. Wer sonst noch hat sich für die ungenutzten Fähigkeiten der Altstars aus den Fünfzigern interessiert? Wer sonst noch hat mit seinen Filmen eine beachtliche Zahl von Schauspielerinnen aufgebaut – wenn deren Prominenz zu seinen Lebzeiten auch hinter seiner eigenen stets zurückblieb? Wer sonst noch hatte auch die notwendige Produktivität, um dieses zu ermöglichen?
Über die Gründe dieses Versagens des neuen deutschen Films scheint mir ebenfalls die bereits zitierte Diskussion während der »Mainzer Tage der Fernsehkritik« Aufschluß zu geben. Hans-Christoph Blumenberg, damals im Begriff, vom Kritiker zum Regiedebütanten zu wechseln, drückte vorsichtig sein Bedauern aus, daß es keine Filmstars in der Bundesrepublik gibt – und erntete heftigen Widerstand. Schlöndorff schlug vor, »diesen Holzweg, ob der Star dem Kino die Rettung bringt, sofort (zu) verlassen«. Daß dies ausgerechnet Schlöndorff sagte, muß um so mehr überraschen, als gerade er, wie kaum ein anderer, in seinen Filmen auf bekannte Darstellernamen setzt. Bei EINE LIEBE VON SWANN zuletzt gleich auf Alain Delon, Fanny Ardant, Ornella Muti und Jeremy Irons, bei seiner geplanten Verfilmung von Arthur Millers »Der Tod des Handlungsreisenden« auf Dustin Hoffman. Vadim Glowna fühlte sich bei der Diskussion fatal an die fünfziger Jahre erinnert, wünschte sich andererseits aber »einen Filmträger, den die Leute gern sehen wollen, wer jetzt der Regisseur oder was das Thema genau ist«. Und selbst Alexander Kluge, der zunächst keinen Gegensatz von Star- und Autorenfilm zugeben wollte, höchstens »Ungleichzeitigkeiten«, blieb am Ende nichts anderes übrig als zu resignieren und resümieren: »Was der totgesagte Autorenfilm zu einer Frage wie der nach den Stars mitzuteilen hat: im Moment wenig.«
Wenig bis nichts hat er, der Autorenfilm, bedauerlicherweise aber auch zu der Funktion der Darsteller im Vermittlungsprozeß des deutschen Films an die Zuschauer zu sagen. Selbst die rote Bibel des Autorenfilms, die »Bestandsaufnahme: Utopie Film«, läßt sich breiter über die Funktion der Filmtitel und der Anzeigenschaltung aus, als ein Konzept in Richtung Darstellerprominenz zu entwickeln.
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Nicht nur bei den Autorenfilmern, auch bei einer großen Zahl von deutschen Filmschauspielern gibt es erhebliche Vorbehalte gegen eine Star-Rolle, obwohl man doch meinen sollte, daß gerade sie großes Interesse daran zeigen müßten. In einem Land wie der Bundesrepublik, wo stets ein scharfer Trennungsstrich gezogen wird zwischen »Ernst« und »Unterhaltung«, zwischen Kunst und Kommerz, darf man sich darüber eigentlich kaum wundern. Sich mit einer breiten Palette unterschiedlichster Rollen als Schauspieler auszuweisen, hat da beinahe zwangsläufig höheres Prestige, als größtmögliche Perfektion und Verehrung des Publikums zu erzielen in der Darstellung eines einzigen Typus, letztendlich sich selbst. Dies macht – stellvertretend für viele, darunter Günter Lamprecht und Bruno Ganz, Barbara Sukowa und Eva Mattes – vor allem ein Darsteller deutlich, der wie kein anderer dazu prädestiniert schien, zum Idol einer ganzen Generation von Kinogängern und möglicherweise zum Star zu werden: Marius Müller-Westernhagen mit seinem THEO GEGEN DEN REST DER WELT.
In dieser Außenseiter- und Verliererfigur kamen Darsteller, Rolle und Publikumserwartung zu einer perfekten Deckung, die Müller-Westernhagen wohl in Panik versetzte. Öffentlich beklagte er die Verwechslung seiner Person mit »Theo«, distanzierte sich von dieser Figur und gelobte, um keinen Preis der Welt eine Fortsetzung zu drehen. Von einem filmwirtschaftlichen Standpunkt aus gesehen, und auch von dem des Publikums, wäre dies eine Selbstverständlichkeit gewesen. Mittlerweile hat Müller-Westernhagen zwar mit dem THEO-Regisseur einen neuen Film gemacht, aber er beeilt sich zu beteuern, DER SCHNEEMANN sei keinesfalls eine Fortsetzung seines früheren Erfolgsfilms.
Natürlich ist Müller-Westernhagens Star-Phobie sein gutes Recht und berechtigt; er wird schon wissen, warum er sich auf diesen Star-Trip nicht einläßt, auf dem man hierzulande mit der Häme der Illustrierten-Journaille rechnen muß. Diese liebt es, kleinzumachen, wen sie zuvor mit aufgebaut hat. Romy Schneider, Nastassja Kinski, Mario Adorf und Karlheinz Böhm und andere, die es nicht zuletzt deswegen vorzogen, im Ausland zu arbeiten, kennen diesen zerstörerischen Mechanismus.
Auf der anderen Seite konnte etwa Gudrun Landgrebe – ebenso wie Müller-Westernhagen nach einem Erfolgsfilm als Star-Aspirant hoch gehandelt – die Starleiter nicht so zügig erklimmen, wie man das von ihr (und sie offenbar von sich selbst) nach der FLAMBIERTEN FRAU erwartet hatte. Ihren durch den ersten Film ausgewiesenen erotischen Appeal beutete ANNAS MUTTER eher aus, als ihn fortzusetzen, und Blumenbergs TAUSEND AUGEN brachte sie viel zu früh einer Offtype-Rolle, die also konträr zu ihrem noch unfertigen Image lief. Das mußte die Fans enttäuschen, und wie ihre neuesten Filmrollen zeigen, scheint sie sich wieder mehr in Richtung Schauspielerin anstatt Star zu entwickeln. Ob Hanna Schygulla, Jürgen Prochnow, Götz George und Klaus Maria Brandauer, die anscheinend gegen ein gewisses Startum ebenfalls nichts einzuwenden hätten, ausreichend Rollen finden werden, um ihren Typus durchzuhalten, bleibt abzuwarten.
Nach den mehr als zwei Jahrzehnten eines fruchtbaren und weltweit anerkannten Kinos der Regisseure könnte die zweite Hälfte der Achtziger dem deutschen Film, wenn auch kein Kino der Stars, so doch der Darsteller bringen. Gerade bei den Jugendlichen, dem Kinopublikum der Gegenwart wie der Zukunft, ist die Bereitschaft hoch, sich mit den Darstellern zu identifizieren, sie zu ihren Idolen zu machen – und ihnen in ihren nächsten Film zu folgen. Dies entspringt dem legitimen Bedürfnis, Rollenmodelle anhand von Vorbildern auszuprobieren, um so zur eigenen Rolle zu finden. Wenn es dem deutschen Film ernst damit ist, daß »nur die Zuschauer die Verbündeten sein können«, muß er diesem Bedürfnis nachkommen – ohne es auszubeuten mit Schlagerfilmen, Pennälersex-Klamotten oder SUPERNASEN-Serien. Sonst wird es tatsächlich ein paar deutsche Stars geben, aber die heißen dann mit Sicherheit Thomas Gottschalk, Mike Krüger und Didi Hallervorden.